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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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sein, um Hilfe zu erbitten. Sie wollte nicht, dass Tajirika von ihrer persönlichen Verbindung zum Herrn der Krähen erfuhr.
    Als Vinjinia ihre Geschichte zu Ende erzählt hatte, konnte Tajirika vor Lachen nicht mehr an sich halten. Er lachte, bis er Seitenstechen bekam.
    „Du hast ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, erzählt, dass es diese Frauen gar nicht gibt, dass es sich um pure Einbildung handelt, um bloße Schatten? Und sie haben dir geglaubt? Kaniũrũs Hirn muss völlig verödet sein!“, sagte Tajirika und erinnerte sich, wie die Frauen sich auf ihn gesetzt hatten; wie schwer sie gewesen waren; wie sie prahlten und die eine sogar eine Machete geschwungen hatte; und wie sie ihn schließlich verprügelt hatten. Er brach erneut in übermütiges Gelächter aus.
    „Warum lachst du so? Ein verwundeter Vogel landet überall.“
    „Oh, ich kann es gar nicht erwarten, dass sie auf der Suche nach dem Zauberer zum Schrein gehen, um ihn zu verhören“, versuchte Tajirika, sich und sein Lachen zu erklären. „Sie werden ihn dort nämlich nicht finden.“
    „Nicht finden?“, fragte Vinjinia voller Schuldgefühl, weil sie Angst hatte, die Geschichte, die sie Kaniũrũ aufgetischt hatte, könnte den Herrn der Krähen in Schwierigkeiten bringen.
    „Der Herr der Krähen sitzt unter schwerer Bewachung im Gefängnis.“
    „Im Gefängnis? Woher weißt du das?“
    „Weil ich ihn dort gesehen habe. Ich war mit ihm in einer Zelle. Und dort habe ich ihn auch zurückgelassen, in Sikiokuus Obhut.“
    Vinjinia schwieg.
    Tajirikas Fröhlichkeit hielt an. Hatte Vinjinia, eine Frau, seinen Erzfeind Kaniũrũ überlistet? Er empfand große Bewunderung für seine Frau und weidete sich auf seinem Weg ins Büro an Kaniũrũs verletzter Männlichkeit.
    Was Vinjinia anging, so war sie sprachlos: Wie war es dem Herrn der Krähen gelungen, an zwei Orten gleichzeitig aufzutauchen? Wie konnte er im Gefängnis und im Schrein sein und versprechen, eine Abordnung der Ältesten auszuschicken, um Tajirika zu bändigen? Der Herr der Krähen hatte wirklich Wort gehalten. Jetzt war es an der Zeit, dass sie ihr Wort einlöste. Sie zog sich um und streifte den traditionellen Lederrock und das ockerfarbene Oberteil über.

14
    „Was?“, brach es aus Sikiokuu hervor, als Kaniũrũ am nächsten Tag anrief, um ihm über die Ereignisse am Red River zu berichten.
    „Wie ich Ihnen gesagt habe. Das sind keine wirklichen Frauen. Sie sind Schatten aus einem Spiegel – reine Spiegelbilder. Deswegen sieht man sie und im nächsten Augenblick sind sie wieder weg. Wie die Tänzerinnen bei der Eröffnungsfeier meines Büros. Von denen habe ich auch nie wieder etwas gesehen oder gehört.“
    „Und das hat Vinjinia dir erzählt? Diese Schatten – wer erschafft sie denn?“
    „Der Herr der Krähen. Mit seinem Spiegel. So etwas wie ein Hologramm. Was man jetzt virtuelle Realität nennt.“
    „Moment mal. Diese Frauen, die Männer verprügeln, die Frauen dieses Volksgerichts … Willst du damit sagen, dass der Herr der Krähen sie als Hologramme oder virtuelle Realität ausgeschickt hat, um Tajirika eine echte Tracht Prügel zu verpassen?“, fragte Sikiokuu mit einem Anflug von Sarkasmus. „Das hat sie dir erzählt?“
    „Ja.“
    „Und du weißt, dass Tajirika seine Frau verprügelt hat, nachdem er aus der Polizeihaft entlassen worden war, und nicht davor?“
    „Ja.“
    „Und du weißt auch, dass er seine Prügel erst bekam, nachdem er seine Frau geschlagen hatte?“
    „Ja, von diesen Frauen, ganz klar. Mit geballten Fäusten, Hieben und Ohrfeigen“, fügte Kaniũrũ lachend hinzu, als wäre er dabei gewesen. „Wirklich ein mächtiger Zauber.“
    „Das ist überhaupt nicht lustig.“
    „Ich weiß, und deshalb brauche ich eine Einheit Zivilpolizisten, um den Schrein zu stürmen und den Herrn der Krähen zu verhaften, zusammen mit allen, die für ihn arbeiten oder bei ihm Heilung suchen. Danach werden die Polizisten den Schrein niederbrennen. Hexerei hasst das Feuer wie schlechte Geschäfte. Und wir müssen schnell handeln, völlig überraschend, noch bevor der Magier reagieren kann.“
    „Stopp. Nichts überstürzen. Eins nach dem anderen.“
    „Ja, Minister.“
    „Zu Vinjinia: Hat sie dir gestanden, selbst im Schrein gewesen zu sein?“
    „Ja! Darum habe ich ihr auch geglaubt. Sie hörte sich nicht an, als ob sie lügen würde. Und sie hat offen zugegeben, dass sie sich dort Hilfe holen wollte. Das Eingeständnis ist genau aus diesem Grund so

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