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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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nicht und bestanden darauf, die Nachricht selbst zu lesen. Schließlich machten sich diejenigen, die die Nachricht gelesen hatten, gar nicht mehr die Mühe, die Nachfolgenden zu informieren, sondern gingen schweigend davon. Die anderen dachten, sie hätten einfach Pech gehabt oder wollten ihre freudige Erregung nicht zeigen, um keinen Neid zu erwecken. Die im hinteren Teil der Schlange aber glaubten, die Reihe würde sich bewegen, was dazu führte, dass sich noch weitere anstellten. Selbst diejenigen, die bereits auf dem Rückweg waren, stellten sich, als sie das Vorrücken der Schlange sahen, hinten wieder an. Dieses Spiel aus Abfließen am Kopf und Auffüllen am Schwanz hielt an. „Eine Schlange ohne Ende“, meinte Nyawĩra an Vinjinia gewandt, während sie einen Ausweg aus diesem Dilemma suchten.
    Sie beschlossen, beim Polizeirevier von Santamaria Hilfe anzufordern. Dieses lag am nächsten, und sein Leiter, Wonderful Tumbo, war ein Freund. Er versprach, die Verkehrspolizei zu schicken, um die Lage zu entspannen.
    Es dauerte bis zum Nachmittag, bevor die versprochenen Polizisten kamen: zwei in einem Landrover, die anderen beiden, Megafone schwingend, auf Motorrädern. Sie berieten sich mit Nyawĩra und Vinjinia. Nach allem, was sie auf ihrer Fahrt zum Büro gesehen hatten, war völlig klar, dass die Rufe ihrer Anweisungen, wie sehr man sie auch verstärkte, am Ende der Schlangen nicht gehört werden würden. „Unternehmen Sie was“, flehten die Frauen.
    Nach heftigen Diskussionen einigten sich die Polizisten auf eine Vorgehensweise: Die zwei Motorradfahrer sollten die Schlangen abfahren und ihre Anweisungen über die Megafone durchgeben. Die beiden anderen wollten auf dem Grundstück bleiben, um alles unter Kontrolle zu halten.
    Die Motorradfahrer brachen auf und riefen immer wieder dieselbe Botschaft aus: „Tajirika ist nicht im Büro, gehen Sie nach Hause und kommen Sie ein anderes Mal wieder.“ Aber niemand glaubte ihnen, und es war auch nicht zu erkennen, dass die Schlangen sich ausdünnten. Das ununterbrochene Spiel von Abnahme, Wiederanstellen und permanenter Bewegung schien nur zu bestätigen, dass die Polizisten logen.
    Nyawĩra war unterdessen eingefallen, dass unlängst ein Anrufbeantworter angeschafft worden war, und sie nahm schnell eine Ansage auf: „Sie sind mit Eldares Modern Construction and Real Estate verbunden; Mr. Tajirika ist im Augenblick telefonisch leider nicht erreichbar.“ Sie spielte kurz mit dem Gedanken, den Satz „Ihr Anruf ist uns wichtig“ einzufügen, ließ es dann aber und fuhr fort: „Wenn Sie Ihren Namen, Ihre Telefonnummer und die Zeit Ihres Anrufs hinterlassen, rufen wir Sie so schnell wie möglich zurück. Bitte sprechen Sie nach dem Signalton.“ Jetzt fühlte sich Nyawĩra besser und gesellte sich wieder zu Vinjinia, die die ganze Zeit am Fenster gestanden und beobachtet hatte, was draußen vor sich ging.
    Sie hatten geglaubt, die Motorradpolizisten würden binnen weniger Minuten wieder da sein, doch nach einer Stunde waren sie noch immer nicht zurück. Zuerst tauchte nach zwei Stunden der eine auf, der die Schlange der Reichen abgefahren war. „Meine Schlange war nicht so lang wie die andere“, berichtete er und fügte hinzu, in seinem ganzen Berufsleben als Verkehrspolizist niemals so enorme Warteschlangen gesehen zu haben. Trotzdem hatte seine Botschaft nichts bewirkt: Die Schlange der Reichen blieb wie sie war.
    Kurz nach fünf Uhr abends aber ereignete sich etwas Seltsames. Die Schlange mit den Vertragsjägern löste sich auf. Einfach so. Offensichtlich am Schwanzende beginnend, hatte sich einer nach dem anderen davongestohlen, und innerhalb weniger Minuten wandelte sich ihr schleichender Rückzug in eine panische Flucht zu ihren Limousinen. In kürzester Zeit waren sämtliche Parkplätze leer. Es war merkwürdig, erst weigerten sie sich, den Anweisungen eines Gesetzeshüters Folge zu leisten, um dann innerhalb weniger Sekunden und ohne ersichtlichen Grund zu verschwinden! Sehr seltsam, dachten die beiden Frauen übereinstimmend. Vielleicht würde mit der anderen Schlange das Gleiche passieren, hofften sie, aber vergebens. Die Schlange blieb, wie sie war, und zeigte keinerlei Anzeichen zu verschwinden wie die andere. Der sich um diese Schlange kümmernde Motorradpolizist war nirgends zu sehen. So sehr die beiden Frauen auch Augen und Ohren offenhielten, sie entdeckten weder den Polizisten noch sein Motorrad.
    Die ganze Angelegenheit kam an einen Punkt, an

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