Herr der Krähen
dass sich Aburĩria während der Dauer des Besuchs der Global-Bank-Delegation der friedlichsten Tage seiner jüngsten Geschichte erfreute. Wochenlang hörte niemand Familien klagen, weil liebe Angehörige von den mörderischen Engeln des Regimes erschossen worden waren. Es war, so erzählten jene, die dazu neigen, große Vergleiche anzustellen, als läge das ganze Land unter einem Zauber, der erstaunlicher war als der, den Moses Tausende Jahre vor der Geburt Christi im Land der Pharaonen geschaffen hatte!
Wahr ist, dass sich, abgesehen vom üblichen Klatsch und Tratsch über die niemals endenden Rivalitäten zwischen Machokali und Sikiokuu, die größten Ängste jener Zeit darauf richteten, Eldares könnte plötzlich von einer Invasion Schlange stehender Dämonen heimgesucht werden.
2
Diese Invasion begann vor dem Sitz der Eldares Modern Construction and Real Estate.
„Und alles nur wegen einer Anschlagtafel“, stellte Nyawĩra fest, als sie und Kamĩtĩ später über die Dämonen sprachen.
„Wie das?“, fragte Kamĩtĩ, aber selbst Nyawĩra konnte nicht erklären, wie die Dämonen entstanden waren und wie sie sich bis in den letzten Winkel von Eldares ausbreiten konnten. Sie erinnerte sich noch sehr gut daran, dass sie schon früh ins Büro aufgebrochen war, in der Hoffnung, noch vor Tajirika dort anzukommen. Der einzige andere Gedanke, der ihr auf dem Weg zur Arbeit durch den Kopf ging, war A.G. ’s frühmorgendlicher Besuch, insbesondere sein unheimlicher Verweis auf die Flugblätter, den er beim Weggehen gemacht hatte. Es gefiel ihr nicht, wie A.G. sie angelächelt hatte, als wüsste er mehr, als er preisgab. Er schien an den Herrn der Krähen zu glauben, das schon, aber hatte er es vielleicht trotzdem auf sie abgesehen? In diesen sorgenvollen Gedanken gefangen, war ihr nicht aufgefallen, dass alle Parkplätze in den Straßen rund um das Büro von Mercedes-Fabrikaten aller Größen und Farben belegt waren. Man stelle sich ihre Überraschung vor, als sie den Blick hob und vor ihrem Büro zwei lange Menschenschlangen sah!
Die eine bestand aus Gestalten in Maßanzügen, die steif und gewichtig wie bei einer Modenschau vor der Tür warteten. Mit Leuten dieses Kalibers hatte sie schon am Vortag zu tun gehabt, das war keine große Überraschung.
Die zweite begann an der Anschlagtafel AUSHILFSJOBS: PERSÖNLICHE VORSTELLUNG ERWÜNSCHT. Sie bestand aus Menschen in geflickten Kleidern und abgetragenen Anzügen in allen Farben des Regenbogens und bildete einen dramatischen Kontrast zum Aufgebot aus Schwarz und Grau in der Schlange der Maßanzüge.
Die Herren der ersten Schlange trugen Aktentaschen und standen stumm und würdevoll da, während die in der zweiten, mit Ausnahme der wenigen, die Zeitung lasen, nichts dabei hatten und deshalb ungehindert herumgestikulieren konnten, während sie sich unterhielten und einander Anekdoten über das Auf und Ab des Lebens erzählten. Die Raucher der ersten Schlange drückten ihre Zigaretten nach wenigen Zügen aus und zermalmten den Stummel unter der Schuhsohle, die in der zweiten aber rauchten die billigsten Marken bis hin zu unbehandelten Tabakblättern und teilten gern mit den anderen. In der ersten Schlange gab es einige Pfeifenraucher, in der zweiten keinen. Und während sich die erste Reihe aus Anlass der Einsetzung eines Vorsitzenden für Marching to Heaven gebildet hatte, in dem Glauben, die Global Bank habe bereits grünes Licht für das Projekt gegeben, war die zweite wegen des Anschlags zustande gekommen, der das Gerücht hatte aufkommen lassen, der Vorsitzende würde Tausende Arbeiter für Marching to Heaven einstellen.
Als Nyawĩra über den Hof ging, um das Büro aufzuschließen, ahnte sie nichts von diesem Gerücht. Sie war einfach nur froh, vor ihrem Chef da zu sein: Bei so vielen anstehenden Besuchern draußen hätte er sie bestimmt zurechtgewiesen, wäre sie nach ihm erschienen.
Noch bevor sie ihren Schreibtisch aufräumen konnte, schoben sich bereits die Ersten der Reichenschlange in den Empfangsbereich hinein und das Telefon begann zu klingeln. Abgesehen davon, dass Tajirika noch nicht da war, war alles wie am Tag zuvor. „Könnten Sie bitte später wieder anrufen?“, bat sie die Anrufer. Ähnliches sagte sie auch denen, die ins Büro hereingeplatzt waren, und bot ihnen sogar an, ihre Visitenkarten dazulassen, was die aber ablehnten, weil sie den Chef nur persönlich sprechen wollten. „Dann warten Sie bitte draußen“, forderte sie sie auf, was
Weitere Kostenlose Bücher