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Herr der Krähen

Herr der Krähen

Titel: Herr der Krähen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ngugi wa Thiong
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Allmächtigkeit? Ich habe dich noch nicht in einem Mercedes herumfahren sehen. So ein Auto ist schließlich der Gütestempel, dass man es geschafft hat.“
    „Das ist nur eine Frage der Zeit. Nyawĩra, du scheinst nicht zu begreifen, was ich dir sagen will. Ich sag es noch mal deutlicher. Weißt du, was die Dissidenten als Letztes getan haben? Sie haben im ganzen Land Plastikschlangen und Flugblätter verteilt. Der Herrscher hat Sikiokuu mit besonderen Machtbefugnissen ausgestattet, diese Bewegung zu zermalmen: die gesamte Führungsmannschaft, die Mitglieder, die Anhänger und die Mitläufer. Der Minister beabsichtigt, den kompletten geheimen Sicherheitsapparat einzusetzen. Uns, die Jugendbrigade der Herrscherpartei, eingeschlossen. Verstehst du, worauf ich hinauswill? Ich gebe dir einen letzten freundschaftlichen Rat. Komm zu mir zurück, oder …“
    „Das hört sich eher nach einer Drohung an als nach einem freundschaftlichen Rat. Aber egal, du verschwendest deine Zeit“, sagte Nyawĩra und stand auf, um zu gehen.
    „Nyawĩra, bitte. Hör auf die Logik deines Herzens. Seit wir beide uns getrennt haben, hast du dich mit keinem anderen eingelassen. Ich auch nicht. Was sagt dir das?“
    „Genau das, was du gerade gesagt hast, und nichts weiter“, antwortete Nyawĩra und ging kichernd davon.
    „Verfluchtes Weib! Eines Tages wirst du auf Händen und Knien zu mir zurückkriechen!“, murmelte Kaniũrũ frustriert.

4
    Nyawĩra hatte die Mutige gespielt, um sich in Kaniũrũs Gegenwart keine Blöße zu geben, aber ihr Herz hatte vor Unruhe gerast. Sie war überzeugt, dass Sikiokuu und Kaniũrũ kaum etwas über die Bewegung wussten. Trotzdem war Vorsicht keine Feigheit, und sie wollte verhindern, dass Kaniũrũ sie noch einmal aufspürte. Eine Möglichkeit war, ihren Job zu kündigen. Doch wie sollte die Bewegung dann an Informationen über Marching to Heaven und die Global-Bank-Delegation herankommen? Den Arbeitsplatz zu wechseln, war eine andere Möglichkeit. Aber sollte sie wegen eines Mannes, diesem Kaniũrũ, ständig auf der Flucht sein?
    Sie dachte an Kaniũrũ und die Jahre, in denen sie sich nahegestanden waren. Anfangs hatte alles so vielversprechend ausgesehen, zumindest für sie. Sie hatte sich schöne Bilder ihrer gemeinsamen Zukunft ausgemalt: Wie sie bei Morgengrauen aufwachten und sich, die jugendlichen Augen zum Blau des Himmels gerichtet, bei der Hand nahmen und unerschrocken in die Welt hinaustraten, um sich ein Heim zu bauen, das Fundament ihrer Zukunft! Wie anders alles gekommen war! Ihre unerfüllt gebliebenen Träume sahen sie unterschiedlich: Während sie mit jedem Tag mehr davon überzeugt war, ihn niemals so weit zu bewegen, seine Art zugunsten ihrer Vorstellungen zu ändern, glaubte Kaniũrũ – selbst nach der Scheidung –, dass er sie dazu bringen könnte, sich seiner Sicht auf die Welt anzupassen. Schließlich war er, der Mann, zu führen bestimmt, und sie, die Frau, hatte zu folgen.
    Nyawĩra war so in Gedanken versunken, dass sie von der Busfahrt und der Fahrt mit dem matatu kaum etwas mitbekam. Aber sie war diese Strecke so oft gefahren, dass sie instinktiv wusste, wann sie aussteigen musste und auch den Weg nach Hause fand sie im Schlaf.
    So kam es, dass Nyawĩra plötzlich mit offenem Mund vor ihrem Haus stand. Das Mondlicht verstärkte die armselige Straßenbeleuchtung. Sie war sprachlos: Vor ihrem Haus stand eine Schlange!
    Zuerst glaubte sie, sich verlaufen zu haben. War sie vielleicht in den falschen Bus gestiegen? Sie hätte im Mars Café nicht so viel Zeit vertrödeln sollen, dann hätte sie auch nicht ihren regulären Bus und das matatu verpasst. Oder war sie an der falschen Haltestelle ausgestiegen? Oder in die falsche Richtung gegangen? Vielleicht hatten die Arbeitssuchenden gesehen, wie sie das Büro verlassen hatte und waren ihr nach Hause gefolgt? Sie hätte schwören können, dass die Schlange, die an dem Anschlag vor ihrem Büro begann, noch da war, als sie das Mars Café verließ. Während sie sich die Männer, die aufgereiht vor ihrer Haustür standen, genauer ansah, fiel ihr auf, dass alle Anzüge trugen, die anders aussahen als die mit Flicken besetzten und abgetragenen Gewänder der Arbeitssuchenden. Die Gesichter jedoch konnte sie nicht erkennen, denn die Männer trugen Kapuzen und breitkrempige Hüte.
    Nyawĩra wollte einen von ihnen fragen, was hier los sei. Sie machte einen Schritt, zögerte dann aber und blieb stehen. Was, wenn es sich hier um die gerade

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