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Herr der Schlangeninsel

Herr der Schlangeninsel

Titel: Herr der Schlangeninsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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Jahrhundert. Eine Stelle östlich des
Schlangenhügels war mit einem x markiert. An dieser Stelle, sagte mir der
Greis, habe Murdock seine Schätze versteckt: in einer mit Felsbrocken
abgedeckten, schräg verlaufenden Höhle. Offenbar bemerkte der Sterbende den
Unglauben in meiner Miene, denn noch ehe ich meine Zweifel kundtun konnte, gab
er mir die Erklärung. Murdocks mörderischer Geist, sagte er, bewache diese
Stätte und werde jeden vernichten, der sich an Gold und Silber bereichern
wolle. Deshalb habe er, Demos, nie den Wagemut aufgebracht, die Schätze für
sich zu bergen. Auch mich müsse er warnen.“
    Tim hielt inne.
    Die Spannung auf den Gesichtern seiner
Freunde war größer als beim packendsten Kino-Hit.
    Karin lächelte.
    Offenbar bereitete es ihr Genugtuung,
daß ihre Fundsache soviel Wirkung hinterließ.
    Bis hierher, dachte Tim, hört es sich
gut an. Aber der Privatier Henkelmair wird doch nicht an den bösen Geist des
alten Piraten glauben? Also hat der Weltenbummler die Segel gesetzt, Tykopulos
angelaufen und ist dort auf Schatzsuche gegangen. Und wir kommen — logo! 80
Jahre zu spät.
    „Weiter!“ drängte Klößchen. „Oder ist
der Text zu Ende?“
    „Noch nicht ganz“, sagte Tim und las
den Rest vor. „20. Mai. Ich wollte keinen Tag länger warten, und ich rechne
mich auch nicht zu der Trauergemeinde, die dem verstorbenen Greis die letzte
Ehre erweist. Lieber jetzt als nachher möchte ich auslaufen und die
Schlangeninsel Tykopulos ansteuern. Selbstredend habe ich die Skizze von der
Rückseite des Schranks abgezeichnet. Doch nun — das Schicksal scheint sich
gegen mich zu wenden. Während der Nacht ist nicht nur der Greis verstorben.
Heute morgen — ich fasse es nicht — fand Alfredo unseren zweiten Matrosen, den
Genueser Christobal Sassenti, tot auf seinem Lager, die Haut von schwarzen und
roten Flecken bedeckt. Die Pest? Die Pocken? Gegen zehn Uhr vormittags hat
Alfredo Blut erbrochen, liegt seitdem in tiefer Bewußtlosigkeit und zuckt mit
den Gliedern. Wie soll ich ihm helfen? Kann ich das überhaupt? In mir ist so
eine seltsame Schwäche.“
    Tim blickte auf. „Hier endet der Text.“
    „Uih!“ Klößchen spuckte
Schokoladenkrümel. „Das hört sich ja an, als wären Henkelmair und seine
Matrosen an einer Seuche gestorben — ganz kurz vor dem Ziel.“
    „Genauso sehe ich das auch“, nickte
Karin. „Ist doch sonnenklar.“
    „Kann man daraus folgern, Murdocks
Schatz ist nach wie vor auf der Schlangeninsel versteckt?“ fragte Karl.
    „Wenn sonst niemand davon weiß...“
Karin hob die Achseln.
    „Von einem Murdockschen
Seeräuber-Schatz“, sagte Karl, „habe ich noch nie gehört. Und ich bin — was
gehobene und entdeckte Schätze betrifft — gut auf dem laufenden. Es gibt
massenhaft Literatur darüber. Ich habe, das behaupte ich, alles gelesen.“
    „Man kann nur niederschreiben“, sagte
Tim, „was bekannt ist. Wenn sich irgendwer die Piraten-Beute heimlich unter den
Nagel gerissen hat, steht nichts darüber in deinen schlauen Büchern.“
    „Stimmt auch wieder.“
    „Andererseits“, meinte Tim, „hat der
alte Demos offenbar höllischen Respekt gehabt vor Murdocks mörderischem Geist.
Es könnte also sein, daß Demos’ Kinderschar nicht eingeweiht war. Und wer
beschäftigt sich schon mit einer verblassenden Kreidezeichnung auf der Rückwand
eines alten Schranks? Die Inselbewohner von Padoklion haben wahrscheinlich
nichts unternommen, um Murdock zu beerben.“
    „Wer kommt sonst noch in Frage?“ überlegte
Gaby.
    „Niemand“, sagte Karin voller
Überzeugung.
    „Mir stellt sich eine andere Frage“,
sagte Tim. „Wenn Henkelmair und seine beiden Matrosen im Jahre 1909 auf
Padoklion gestorben sind — wie gelangen dann die Skizzen und Aufzeichnungen des
Privatiers hierher? Und in die Truhe?“
    „Ja, die Truhe!“ rief Karl. „Können wir
die mal sehen?“
    Karin schlurfte voran.
    Die TKKG-Bande folgte ihr ins
sogenannte Lager, einem flachen Anbau, der vollgepfropft war mit allem, was zur
Gattung der Antiquitäten gehört. Alt mußten die Dinge sein. Es gab Möbel,
Stickereien, Wandteppiche, Standuhren, seltsame Volkskunst, Musikinstrumente,
Porzellan, Miniaturen und Silhouetten, Kleinplastik, Orden, Rüstungen, Waffen
und Spielzeug.
    Karin deutete auf eine alte Truhe.
    „Aber ja!“ Karl schlug sich auf den
Schenkel. „Eine Schiffstruhe! 100 Jahre alt, schätze ich. Ziemlich ramponiert
und deshalb fast ohne Wert, denn es gibt viele, die gut erhalten

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