Herr des Chaos
Anteil an diesem Plan war nun eingeleitet, ganz wie vorgesehen. Ein hastiger Aufbruch, fast unvorbereitet, so, als wolle er sich nach Süden wegschleichen, aber doch auffällig genug, um sicherzugehen, daß er bemerkt wurde. Diese Kombination würde ihn sehr töricht wirken lassen, und auch das war nur zum besten. Der Bande das schnelle Vorrücken einzutrichtern war allein schon eine gute Sache - schnelles Vorrücken konnte einen aus dem eigentlichen Kampf fernhalten -, aber ihr Weg konnte sehr gut zumindest vom Fluß aus verfolgt werden. Er suchte den Himmel ab, konnte jedoch keine Raben oder Krähen entdecken. Das wollte allerdings nicht viel heißen. Es waren auch keine Tauben zu sehen, aber sollte diesen Morgen keine Maerone verlassen haben, würde er seinen eigenen Sattel essen.
In höchstenfalls ein paar Tagen würde Sammael erfahren, daß die Bande im Anrücken war und sich beeilte. Die Befehle, die Rand unterdessen in Tear ausgegeben hatte, würden deutlich werden lassen, daß Mats Ankunft die sofortige Invasion in Illian auslöste. Auch bei der höchsten Marschgeschwindigkeit, die er der Bande zumuten konnte, würden sie doch noch mehr als einen Monat bis Tear brauchen. Mit ein wenig Glück würde Sammael wie eine Laus zwischen zwei Steinen zerquetscht bevor Mat sich dem Mann auch nur auf hundert Meilen nähern mußte. Sammael war in der Lage, alles kommen zu sehen, oder zumindest fast alles, aber es würde ein anderer Tanz werden, als er ihn erwartete. Anders als jeder andere bis auf Rand, Mat und Bashere erwartete. Darin bestand der eigentliche Plan. Mat ertappte sich dabei, wie er gut gelaunt vor sich hin pfiff. Diesmal würden sich die Dinge genau so entwickeln, wie er es erwartete.
KAPITEL
6
Schattengewebe
V orsichtig trat Sammael auf die Seidenteppiche mit ihrem Blumenmuster und ließ das Tor geöffnet für den Fall, daß er sich schnell zurückziehen mußte. So hielt er auch Saidin beinahe krampfhaft fest. Gewöhnlich mied er ja alle Konferenzen, die nicht auf neutralem Boden oder bei ihm selbst stattfanden, aber dies war bereits das zweite Mal, daß er hierher kam. Ein klarer Fall von Notwendigkeit. Er war nie ein Mann gewesen, der anderen leicht Vertrauen schenkte, und das hatte sich gewiß nicht geändert, seit er erfahren hatte, was sich zwischen Demandred und den drei Frauen abgespielt hatte und Graendal hatte ihm auch nur soviel anvertraut, wie nötig gewesen war, um ihm klarzumachen, inwieweit sie selbst ihre Position verbessert hatte. Er verstand das ja nur zu gut, denn auch er hatte Pläne, von denen er die anderen Auserwählten nichts wissen ließ. Es würde nur einen Nae'blis geben, und das allein war fast genausoviel wert wie die Unsterblichkeit selbst.
Er stand auf einem breiten Podest, der an einem Ende eine Marmorbrüstung aufwies, und hier hatte man Tische und Stühle - vergoldet und teils aus Elfenbein geschnitzt, wobei einige ziemlich ekelhafte Motive zeigten - so aufgestellt, daß man von ihnen aus den Rest des langen, von Säulen gestützten Saales zehn Fuß unter ihnen gut übersehen konnte. Es führten keine Stufen dort hinunter. Der Saal war wie eine riesige, extravagant ausgestaltete Grube, in der man Vorführungen zur Unterhaltung derer auf dein Podest veranstalten konnte. Sonnenschein fiel durch hohe Fenster herein, deren bunte Glasscheiben komplizierte Lichtmuster auf den Boden warfen. Die brütende Hitze, die von der Sonne ausging, war hier nicht zu spüren; die Luft war kühl, auch wenn er das nur am Rande wahrnahm. Graendal mußte sich deswegen genausowenig Mühe machen wie er, aber sie tat es natürlich. Es war ein Wunder, daß sie das Netz der Einen Macht nicht über den ganzen Palast ausgedehnt hatte.
Es war etwas anders geworden an diesem tiefergelegenen Teil des Saales, seit er das letzte Mal hierhergekommen war. Er wußte aber nicht zu sagen, worin der Unterschied lag. Drei langgestreckte, seichte Wasserbecken, jedes aus einem Brunnen gespeist, zogen sich durch die Mitte des Saales. Die Brunnenfiguren waren schlanke Gestalten, die wie eingefrorene Bewegung wirkten. Das Wasser sprang aus diesen Fontänen hoch bis fast an die aus Marmor gehauenen Rippen des Deckengewölbes. In den Becken tummelten sich Männer und Frauen, die höchstens einen Fetzen Seide oder noch weniger trugen, während an den Seiten andere, kaum mehr bekleidet, ihre Künste vollführten: Akrobaten und Jongleure, Tänzer ganz unterschiedlicher Stilrichtungen und Musiker mit Flöten und
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