Herr des Chaos
Hörnern, Trommeln und allen Arten von Saiteninstrumenten. Jede Größe war vertreten, jede Hautfarbe und Haarfarbe und Augenfarbe, und einer war körperlich vollkommener als der andere. All das sollte diejenigen unterhalten, die sich auf dem Podest befanden. Es war idiotisch. Zeit- und Energieverschwendung. Typisch für Graendal.
Bis auf ihn war das Podest leer gewesen, als er aus dem Tor getreten war, aber so von Saidin erfüllt und mit geschärften Sinnen roch er Graendals süßes Parfüm, wie eine Brise, die von einem Blumengarten her kam, und er hörte ihre Pantoffeln über den Teppich streifen, bevor sie ihn von hinten her ansprach: »Sind meine Schätzchen nicht wunderschön?«
Sie trat neben ihn an die Brüstung und lächelte auf das Schauspiel unter ihnen herab. Ihr dünnes Domanikleid klebte beinahe an ihrer Haut und zeigte mehr, als es andeutete. Wie immer trug sie an jedem Finger einen Ring mit einem anderen Edelstein, dazu vier oder fünf über und über mit Gemmen besetzte Armreife an jedem Handgelenk, und um den Stehkragen des Abendkleides schmiegte sich ein breites Kollier aus enorm großen Saphiren. Er verstand nicht viel von solchen Dingen, aber er vermutete, es habe Stunden gedauert, um diese sonnengoldenen Locken zu frisieren, die ihr auf die Schultern fielen. Scheinbar wahllos verstreut hingen dazwischen Mondperlen, aber es war etwas an dieser scheinbaren Unordnung, das auf eine ganz präzise geplante Ordnung hindeutete.
Sammael staunte manchmal über sie. Er hatte sie erst kennengelernt, als er sich entschloß, eine verlorene Sache aufzugeben und statt dessen dem Großen Herrn zu folgen, aber jeder schien sie zu kennen, berühmt und geehrt, eine hingebungsvoll arbeitende Asketin, die jene behandelte, deren verstörten Hirnen die normale Heilkunst nicht mehr helfen konnte. Bei diesem ersten Zusammentreffen, als sie ihm die ersten Gefolgschaftseide für den Großen Herrn abnahm, war jede Spur der enthaltsamen Wohltäterin aus ihr gewichen, als habe sie sich absichtlich allem zugewandt, was im völligen Gegensatz zu ihren früheren Zielen stand. Oberflächlich betrachtet, war sie ausschließlich auf ihr eigenes Vergnügen fixiert, und ihr Wunsch, jeden vom Thron zu stoßen, der auch nur ein wenig Macht besaß, wurde dadurch verschleiert. Und dahinter wiederum verbarg sich ihr eigener Machthunger, den sie nur selten nach außen hin zeigte. Graendal hatte es schon immer sehr gut verstanden, Dinge zu verbergen, die doch ganz klar ersichtlich waren. Er glaubte, sie besser zu kennen als jeder der anderen Auserwählten -sie hatte ihn sogar zum Schayol Ghul begleitet, als er dort seinen Antrittsbesuch machte -, aber selbst er kannte nicht alle Schichten ihrer vielschichtigen Persönlichkeit. An ihr entdeckte man so viele Schattierungen, wie ein Jegal Schuppen aufwies, und sie schlüpfte blitzschnell von einer in die andere Rolle. Damals war sie die Herrin gewesen und er ihr Anhänger, trotz all seiner Verdienste als General. Diese Lage hatte sich geändert.
Keiner der in den Becken Watenden oder der Akrobaten blickte hoch, und doch wurden ihre Bewegungen mit ihrer Ankunft energischer und noch graziöser, falls überhaupt möglich. Jeder versuchte, sich so gut wie möglich herauszustreichen. Sie existierten lediglich, um ihr zu gefallen. Dafür sorgte Graendal ganz gewiß.
Sie deutete auf vier Akrobaten, einen dunkelhaarigen Mann, der drei schlanke Frauen stützte. Ihre kupferfarbene Haut war eingeölt und schimmerte im Licht. »Ich glaube, das sind meine Lieblinge. Ramsid ist der Bruder des Königs von Arad Doman. Die Frau auf seinen Schultern ist Ramsids Ehefrau; die anderen beiden sind die jüngste Schwester und die älteste Tochter des Königs. Findest du es nicht auch bemerkenswert, was Menschen alles erlernen können, wenn man sie nur richtig motiviert? Denk einmal an all diese Talente, die nur verschwendet werden.« Das gehörte zu ihren Lieblingsthemen. Ein Platz für jeden und jeder an seinem Platz, der ihm auf Grund seiner Talente und der gesellschaftlichen Notwendigkeiten zugeteilt wurde. Diese Notwendigkeiten schienen allerdings immer auf ihre eigenen Wünsche herauszulaufen. Das Ganze langweilte Sammael. Hätte sie ihr Konzept auch auf ihn angewandt, dann hätte sich überhaupt nichts an seiner Stellung im Leben geändert.
Der männliche Akrobat drehte sich langsam um die eigene Achse, damit sie alles gut beobachten konnten. Er hielt nach jeder Seite eine Frau am ausgestreckten Arm
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