Herr des Chaos
Sicher hatte Moghedien zu diesen Zeiten den A'dam gar nicht getragen, doch das war unwichtig. Sie war eine der Verlorenen, sie waren allein miteinander, und Nynaeve hatte keine Möglichkeit, die andere zu beherrschen. Unwillkürlich verkrampften sich ihre Hände in den Rock, um nicht nach ihrem Messer zu greifen.
Moghediens Lächeln vertiefte sich, als habe sie ihre Gedanken erraten. »In dieser Sache dürft Ihr sicher sein, daß ich nur Eure Interessen im Sinn habe. Dies hier...« - und dabei hielt sie ihre Hand einen Augenblick lang ganz in der Nähe des Halsbandes, allerdings ohne es zu berühren - »bindet mich in Caemlyn genauso wie hier. Sklaverei dort ist besser als der Tod hier. Aber überlegt es Euch nicht zu lange. Falls diese sogenannten Aes Sedai sich entschließen, zur Burg zurückzukehren, wärt Ihr das wertvollste Geschenk, das sie der neuen Amyrlin mitbringen könnten: eine Frau, die Rand al'Thor so nahe steht! Und Elayne. Wenn er nur halb soviel für sie empfindet wie sie für ihn, würde ihre Anwesenheit in der Burg auch ihn binden, und diese Bande würde er sein Leben lang nicht mehr loswerden.«
Nynaeve stand auf und zwang ihre Knie dazu, mit dem Zittern aufzuhören. »Ihr könnt jetzt die Betten machen und das Zimmer aufräumen. Ich erwarte, alles sauber vorzufinden, wenn ich zurück bin.«
»Wieviel Zeit habt Ihr noch?« fragte Moghedien, bevor sie die Tür erreicht hatte. Es klang, als frage die Frau, ob das Wasser zu heiß für den Tee sei. »Nur noch ein paar Tage, bis sie ihre Antwort nach Tar Valon senden? Ein paar Stunden vielleicht nur? Was wird den Ausschlag geben: Rand al'Thor und Elaidas angebliche Verbrechen, oder die Aussicht, ihre verehrte Weiße Burg wieder zu einer Einheit zu machen?«
»Achtet besonders auf die Nachttöpfe«, sagte Nynaeve, ohne sich umzudrehen. »Diesmal will ich sie wirklich sauber vorfinden.« Sie trat aus dem Zimmer, bevor Moghedien noch etwas sagen konnte, und schloß die Tür energisch hinter sich.
Dann lehnte sie sich an die rauhe Bretterwand in dem engen, fensterlosen Gang und atmete tief durch. Sie kramte in ihrer Gürteltasche und zog einen kleinen Sack heraus, aus dem sie zwei Gansminzblätter hervorholte, die sie sich in den Mund steckte. Es dauerte etwas, bis Gansminze das Sodbrennen unterdrückte, aber sie kaute darauf herum und schluckte so hastig, als glaube sie, die Wirkung dadurch beschleunigen zu können. Während der letzten paar Minuten hatte sie ein ums andere Mal fast der Schlag getroffen. Moghedien hatte ein Ding nach dem anderen zerpflückt, das sie doch so genau gekannt hatte. Trotz ihres gesunden Mißtrauens hatte sie geglaubt, die Frau sei endgültig unterdrückt. Falsch. Beim Licht, das war ein Irrtum gewesen! Sie war sicher gewesen, daß Moghedien auch nicht mehr über Elayne und Rand wisse als die Aes Sedai. Falsch. Und was ihren Vorschlag betraf, sich zu Rand zu begeben... Sie hatten sich einfach zu offen vor ihr unterhalten. Was mochte ihnen noch entschlüpft sein, und was konnte Moghedien damit anfangen?
Eine andere Aufgenommene trat aus dem Vorraum des kleinen Hauses in den schlecht beleuchteten Gang. Nynaeve richtete sich auf, steckte die Gansminze weg und strich ihr Kleid glatt. Jedes Zimmer außer dem Vorraum war zum Schlafquartier gemacht worden. Aufgenommene und Dienerinnen hatte man hier untergebracht, drei oder vier in jedem der Zimmer, und keines davon war viel größer als jenes, in dem sie selbst schlief. Einige der Betten im Haus mußten sie sogar zu zweit benützen. Die andere Aufgenommene war eine zierliche Frau, klein und schmächtig, mit grauen Augen und einem bereitwilligen Lächeln. Emara stammte aus Illian und konnte Siuan oder Leane nicht leiden, was Nynaeve durchaus verstand.
Sie war der Meinung, man solle die beiden wegschicken, auf anständige Weise natürlich, wie sie hinzugefügt hatte, so, wie man es immer mit Frauen getan hatte, die einer Dämpfung unterzogen worden waren, doch davon abgesehen war sie eine nette Frau, die auch nichts dagegen hatte, daß Elayne und Nynaeve ein größeres Zimmer hatten und auch ›Marigan‹, die ihre Hausarbeit für sie verrichtete. Andere dachten nicht so großzügig.
»Wie ich hören, Ihr werdet für Janya und Delana abschreiben müssen«, sagte sie mit ihrer hohen Stimme im Vorbeigehen auf dem Weg zu ihrem Zimmer. »Folgt meinem Rat und schreibt, so schnell Ihr könnt. Janya es halten für wichtiger, daß alle Wörter dastehen, wenn auch ein paar Kleckse dabei
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