Herr des Chaos
entgegengestellt. »Zweifellos befinden sich auch einige in Cairhien und Rhuidean, aber selbst wenn man nicht gerade auf al'Thor stößt, sind beide Städte doch voll von Frauen, die mit der Macht umgehen können.«
»Ignorante Mädchen«, schnaubte Graendal.
»Wenn ein Küchenmädchen dir ein Messer in den Rücken rammt«, sagte Semirhage kühl, »bist du dann weniger tot als nach einer Niederlage in einem Sha'je Duell in Qal?«
Mesaana nickte. »Dann bleibt nur das übrig, was vielleicht unter uralten Ruinen begraben ist oder vergessen auf einem Dachboden verstaubt. Falls ihr darauf zählt, per Zufall etwas zu finden, dann wartet meinetwegen. Ich werde nicht warten. Außer, jemand von Euch weiß, an welchem Ort ein Stasiskasten verborgen ist?« Das Letzere klang ziemlich trocken. Die Stasiskästen hätten eigentlich die Zerstörung der Welt überstehen müssen, aber diese Erdbeben und Vulkanausbrüche, die ganzen Umwälzungen an der Erdoberfläche, hatten sie wahrscheinlich irgendwo auf einem Meeresgrund oder unter Bergen verschüttet. Nur wenig war noch übrig von der Welt, die sie gekannt hatten; höchstens ein paar Namen und Legenden.
Graendals Lächeln schien zuckersüß. »Ich war schon immer der Meinung, du hättest Lehrerin werden sollen. Oh, tut mir leid. Ich vergaß ...«
Mesaanas Gesicht lief dunkel an. Ihr Weg zum Großen Herrn hatte begonnen, als man ihr vor so vielen Jahren einen Lehrstuhl im Collam Daan verweigerte. Für die Forschung nicht geeignet, hatte man ihr gesagt, aber sie könne ja immerhin noch als Lehrerin arbeiten. Also hatte sie gelehrt, bis sie eine Möglichkeit fand, ihnen allen eine Lektion zu erteilen!
»Ich warte immer noch darauf, zu erfahren, was der Große Herr gesagt hat«, murmelte Semirhage.
»Ja. Sollen wir al'Thor töten?« Mesaana wurde bewußt, daß sie beide Hände in ihren Rock verkrampft hatte, und sie ließ los. Seltsam. Sie ließ sich doch sonst von niemandem provozieren. »Wenn alles gutgeht, wird er sich in zwei, höchstens drei Monaten dort befinden, wo ich ihn problemlos erreichen kann, und er wird völlig hilflos sein.«
»Wo du ihn problemlos erreichen kannst?« Graendal zog fragend eine Augenbraue hoch. »Wo hast du denn nun eigentlich dein Netz gesponnen? Ach, spielt keine Rolle. So wenig das ist, ist es doch genauso gut wie jeder andere Plan, den ich in letzter Zeit gehört habe.«
Immer noch schwieg Demandred, stand nur da und musterte sie. Nein, Graendal nicht. Semirhage und sie. Und als er schließlich etwas sagte, war es mehr zu sich selbst und nur so halb zu ihnen: »Wenn ich daran denke, in welche Lage ihr beide euch versetzt habt, dann frage ich mich manchmal, wieviel der Große Herr davon weiß und wie lange schon. Wieviel von alledem, was geschehen ist, war von Anfang an von ihm geplant?« Darauf gab es keine Antwort. Schließlich sagte er: »Ihr wollt wissen, was mir der Große Herr gesagt hat? Also gut. Aber es bleibt unter uns als striktes Geheimnis. Da Sammael es vorgezogen hat, uns fernzubleiben, wird er nichts erfahren. Und auch die anderen nicht, ob sie nun am Leben sind oder tot. Der erste Teil der Botschaft des Großen Herrn war sehr einfach: Laßt den Herrn des Chaos herrschen. Das waren seine genauen Worte.« Seine Mundwinkel zuckten, was einem Lächeln bei ihm so nahe kam, wie Mesaana es nur jemals erlebt hatte. Dann berichtete er ihnen das Übrige. Mesaana ertappte sich dabei, daß sie schauderte, ohne zu wissen, ob vor Erregung oder vor Entsetzen. Es könnte funktionieren und ihnen alles in die Hand geben, was sie benötigten. Aber Glück war auch dazu nötig, und bei Glücksspielen fühlte sie sich nicht wohl. Demandred war der Spieler unter ihnen. Er hatte in einer Hinsicht recht: Lews Therin hatte sein eigenes Glück gemacht wie eine frisch geprägte Münze. Wie es schien, tat Rand al'Thor bisher ihrer Meinung nach das gleiche.
Es sei denn... Es sei denn, der Große Herr hatte einen Plan über jenen hinaus, den er ihnen enthüllt hatte. Und das ängstigte sie mehr als jede andere Möglichkeit.
Das Abbild des Raums wurde von einem Spiegel mit vergoldetem Rahmen reflektiert: die beklemmenden Szenen auf den Mosaiken an den Wänden, die vergoldeten Möbel, die feingewebten Teppiche, die anderen Spiegel und die Wandbehänge. Ein fensterloser Raum in einem Palast. Es war auch keine Tür vorhanden. Im Spiegel war eine Frau sichtbar, die im Raum auf und ab schritt. Sie trug ein blutrotes langes Kleid, und auf ihrem schönen Gesicht
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