Herr des Chaos
zeigte sich eine Mischung aus Wut und Ungläubigkeit. Immer noch ungläubig. Das war auch seinem eigenen Gesicht abzulesen, was ihn viel mehr interessierte als die Frau. Er konnte dem Impuls nicht widerstehen, zum hundertstenmal seine Nase, den Mund und die Wangen zu berühren, um sicherzugehen, daß sie wirklich existierten. Nicht jung, aber jünger als das Gesicht, das er bei seinem ersten Erwachen aus dem langen Schlaf mit all seinen endlosen Alpträumen getragen hatte. Ein durchschnittliches Gesicht, und er hatte es immer gehaßt, durchschnittlich zu wirken. Er erkannte das Geräusch, das aus seiner Kehle aufstieg, als ein beginnendes Lachen, ein Kichern, und unterdrückte es. Er war doch nicht verrückt. Trotz allem, das war er nicht.
Ein Name war ihm während seiner zweiten, viel schrecklicheren Schlafperiode verliehen worden, bevor er mit diesem Gesicht und Körper erwachte: Osan'gar.
Den Namen hatte eine Stimme ausgesprochen, die er kannte und der er den Gehorsam nicht verweigern konnte. Sein alter Name, im Hohn gegeben und voller Stolz angenommen, war für immer vergangen. Die Stimme seines Herrn hatte gesprochen und es so werden lassen. Die Frau hieß Aran'gar. Wer sie gewesen war, existierte nicht mehr.
Diese Namen waren für sich schon aufschlußreich genug. Osan'gar und Aran'gar waren die Dolche einmal für die linke und dann für die rechte Hand bei einer Art von Duell, wie es für kurze Zeit populär gewesen war in den frühen Tagen jener langen Aufbauphase vom Beginn des Stollens bis zum tatsächlichen Ausbruch des Kriegs um die Macht. Seine Erinnerungen waren lückenhaft, denn sowohl während der langen wie auch während der kürzeren Schlafperiode war zuviel verlorengegangen, doch er erinnerte sich wenigstens daran. Die Popularität hatte nicht lang angehalten, denn fast unvermeidlich hatten beide Duellanten am Ende sterben müssen. Die Klingen dieser Dolche waren mit einem langsam wirkenden Gift bestrichen.
Etwas schob sich verschwommen in das Spiegelbild, und er wandte sich um, wenn auch nicht zu schnell. Er mußte im Kopf behalten, wer er war, und sichergehen, daß auch die anderen daran dachten. Es war immer noch keine Tür da, aber nun teilte ein Myrddraal den Raum mit ihnen. Weder das eine noch das andere waren an diesem Ort etwas Besonderes, doch der Myrddraal war größer als jeder andere, den Osan'gar jemals erblickt hatte.
Er nahm sich Zeit und ließ den Halbmenschen warten, ohne seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Dann, bevor er den Mund öffnen konnte, fauchte Aran'gar: »Warum hat man mir das angetan? Warum stecke ich in diesem Körper? Warum?« Das letzte kam beinahe als Aufschrei heraus.
Osan'gar hatte den Eindruck, daß sich die blutleeren Lippen des Myrddraal zu einem Lächeln verzogen, doch das war unmöglich, hier oder anderswo. Selbst die Trollocs hatten einen Sinn für Humor, wenn auch schmutzig und gewalttätig, aber nicht die Myrddraal. »Man hat Euch beiden die besten gegeben, die in den Grenzlanden aufzutreiben waren.« Die Stimme klang wie das Geräusch einer Viper, die sich durch dürres Gras schob. »Es ist ein guter Körper, kräftig und gesund. Und besser als die Alternative.«
Beides stimmte natürlich. Es war ein guter Körper. Er hätte zu einer Daien-T änzerin gepaßt, damals, in den alten Tagen, schlank und doch üppig, mit dem unvergleichlichen elfenbeinernen Oval eines grünäugigen Gesichts, eingerahmt von glänzend schwarzem Haar. Und der Alternative gegenüber war sowieso alles besser.
Vielleicht sah Aran'gar das nicht genauso. Der Zorn verzerrte dieses schöne Gesicht. Sie würde irgend etwas Leichtsinniges tun. Das wußte Osan'gar; in dieser Hinsicht war sie schon immer problematisch gewesen. Dagegen erschien Lanfear noch vorsichtig. Er griff nach Saidin. Hier die Macht zu benutzen mochte gefährlich sein, aber weniger gefährlich, als ihr eine echte Dummheit durchgehen zu lassen. Er griff also nach Saidin - und fand nichts. Er war nicht abgeschirmt, denn das hätte er gespürt und gewußt, wie er sich vorbeimogeln oder die Abschirmung durchbrechen könne, falls er genügend Zeit hatte und sie nicht zu stark war. Doch das jetzt war, als sei er von der Quelle abgeschnitten worden. Das Entsetzen ließ ihn auf der Stelle versteinern.
Anders jedoch Aran'gar. Vielleicht hatte sie die gleiche Entdeckung gemacht, aber sie reagierte auf andere Weise darauf. Kreischend wie eine Katze ging sie auf den Myrddraal los und krallte nach ihm.
Natürlich war
Weitere Kostenlose Bücher