Herr des Chaos
schwarzes Kleid stand in hartem Kontrast zu dem Sesselbezug. Nicht einmal Demandred wagte Semirhage ins Gesicht zu sagen, daß sie so oft Schwarz trage, weil sich Lanfear immer weiß kleidete.
Zum tausendstenmal versuchte Mesaana, sich darüber klar zu werden, warum sie sich in der Gegenwart der anderen Frau immer unwohl fühlte. Mesaana kannte ihre eigenen Stärken und Schwächen, sowohl im Umgang mit der Einen Macht, wie auch in bezug auf andere Dinge. In den meisten Dinge ergänzte sie sich gut mit Semirhage; wo das nicht der Fall war, besaß sie andere Stärken, um Schwächen Semirhages abzugleichen. Daran lag es nicht. Semirhage liebte Grausamkeiten, empfand ein reines Vergnügen daran, Qualen zu verursachen, aber auch das war nicht das eigentliche Problem. Auch Mesaana konnte grausam sein, wenn es notwendig war, und es war ihr gleich, was Semirhage anderen antat. Es mußte einen Grund geben, aber sie kam nicht darauf.
Gereizt platzierte sie einen weiteren Dominostein, und der Turm brach klappernd zusammen. Elfenbeinerne Spielsteine regneten auf den Fußboden. Mit einem Zungenschnalzen wandte sie sich vom Tisch ab und verschränkte die Arme unter den Brüsten. »Wo bleibt Demandred nur? Siebzehn Tage, seit er zum Schayol Ghul ging, aber er wartet bis jetzt, um uns über eine Botschaft zu informieren, und dann taucht er nicht auf.« Zweimal während dieser Zeit hatte sie sich selbst zum Krater des Verderbens begeben und diesen nervenaufreibenden Gang getan. Und nichts anderes vorgefunden, als einen eigenartigen, übergroßen Myrddraal, der nichts sagte. Der Stollen war natürlich schon dagewesen, aber der Große Herr hatte nicht geantwortet. Sie war nie lange geblieben. Sie hatte wohl geglaubt, überhaupt nichts mehr zu fürchten und ganz bestimmt nicht den Blick eines Halbmenschen, aber zweimal hatte der schweigende, augenlose Blick des Myrddraal sie dazu gebracht, mit schnellen Schritten wegzugehen, wobei sie sich gerade noch unter größter Selbstbeherrschung davon abhalten konnte, zu rennen. Wäre nicht der Gebrauch der Macht gerade dort der sicherste Weg in den Tod gewesen, hätte sie den Halbmenschen vernichtet oder wäre auf einem der Kurzen Wege aus dem Krater entflohen. »Wo kann er nur sein?«
Semirhage hob den Blick von ihrer Stickerei. Die dunklen Augen in dem glatten, dunklen Gesicht blickten starr drein. Dann legte sie ihre Handarbeit beiseite und erhob sich graziös. »Er wird kommen, wenn er kommt«, sagte sie so gelassen wie immer. »Wenn du nicht warten willst, dann geh.«
Unbewußt stellte sich Mesaana ein wenig auf die Zehenspitzen, und trotzdem mußte sie zur anderen aufblicken. Semirhage war größer als die meisten Männer, verfügte aber über solch perfekte Proportionen, daß man sich ihrer Größe erst bewußt wurde, wenn sie direkt vor einem stand und herabblickte. »Gehen? Ich werde gehen. Und er kann...«
Es gab natürlich keine Vorwarnung. Das gab es nie, wenn es ein Mann war, der die Macht benützte. Eine helle, senkrechte Linie erschien in der Luft und erweiterte sich dann, während sich das Tor zur Seite drehte, um sich lange genug zu Öffnen, daß Demandred hindurchtreten konnte, wobei er sich vor jeder der beiden leicht verbeugte. Heute war er ganz in Dunkelgrau gekleidet, mit einer schmalen, hellen Halskrause aus Spitzen. Er paßte sich problemlos den Modeerscheinungen und Stoffen dieses Zeitalters an.
Sein Profil mit der Hakennase war durchaus anziehend, aber nicht unbedingt von der Sorte, die Frauenherzen schneller schlagen läßt. Und auf gewisse Weise war es gerade dieses ›durchaus‹ oder ›nicht unbedingte aus dem sich die ganze Lebensgeschichte Demandreds ablesen ließ. Er hatte das Pech gehabt, einen Tag nach Lews Therin Telamon geboren zu werden, der zum Drachen wurde. Während Barid Bei Medar, wie er ursprünglich hieß, Jahre damit verbrachte, durchaus den von Lews Therin gesetzten Maßstäben nachzueifern, konnte er Lews Therins Ruhm nicht unbedingt erreichen. Wäre Lews Therin nicht gewesen, wäre er zweifellos der berühmteste Mann seines Zeitalters gewesen. Hätte ihn das Schicksal dazu bestimmt, die Menschheit zu führen, anstatt dieses Mannes, den er als intellektuell unter ihm stehend betrachtete, als einen übervorsichtigen Narren, der nur zu häufig auf reines Glück angewiesen war, stünde er dann heute hier? Nun, das waren überflüssige Gedankengänge, die ihr allerdings auch schon früher durch den Kopf gegangen waren. Nein, der entscheidende
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