Herr des Chaos
Berelains Parfüm gerade noch rechtzeitig an ihn heran, daß er die Haupteingangshalle des Palastes meiden konnte. Er bedeutete den Aiel-Wächtern, sich ruhig zu verhalten, und schlich sich zu einem Dienstboteneingang, wo er klopfen mußte, um von einem Burschen mit trüben Augen eingelassen zu werden. In der nächsten Nacht wartete Berelain im Gang vor seinen Räumen. Er mußte sich die halbe Nacht hinter einer Ecke verbergen, bevor sie aufgab. Sie wartete jede Nacht irgendwo, als könnte sie eine zufällige Begegnung vortäuschen, wenn außer einigen Dienern niemand sonst mehr wach war. Es war verrückt. Warum hatte sie sich nicht jemand anderem zugewandt? Und jede Nacht, wenn er sich schließlich mit den Stiefeln in der Hand in sein Schlafzimmer schlich, schlief Faile in diesem verdammten dicken Nachtgewand. Er war schon lange vor seiner sechsten schlaflosen Nacht hintereinander bereit zuzugeben, daß er sich geirrt hatte, obwohl er noch immer nicht verstand wieso. Es war ihm so verdammt einfach erschienen. Er wollte nur ein Wort von Faile hören, einen Hinweis darauf, was er sagen oder tun sollte. Aber er bekam nur das Geräusch seines eigenen Zähneknirschens in der Dunkelheit zu hören.
Am zehnten Tag erhielt Rand ein weiteres Bittschreiben Coirens um eine Anhörung, das genauso höflich abgefaßt war wie die ersten drei. Er saß eine Zeitlang da, rieb das dicke, elfenbeinfarbene Pergament zwischen Daumen und Zeigefinger und dachte nach. Er konnte mit seinem Gespür für Alanna nicht genau bestimmen, wie weit sie noch entfernt war, aber wenn er verglich, wie stark dieses Gespür am ersten Tag gewesen war und wie stark es jetzt war, glaubte er, daß sie sich vielleicht auf halbem Weg nach Cairhien befand. Wenn dem so war, vergeudete Merana keine Zeit. Das war gut. Er wollte, daß sie beschäftigt war. Auch ein wenig Reue wäre hilfreich, aber genausogut könnte er sich den Mond wünschen. Sie war eine Aes Sedai. Es würden zehn weitere Tage vergehen, bis sie Cairhien erreichten, wenn sie in diesem Tempo weiterzogen, und das sollte ihnen möglich sein. Rand hatte folglich genügend Zeit, sich noch zweimal mit Coiren zu treffen, so daß er jeder Gruppe drei Anhörungen gewährt hätte. Darüber sollte Merana nachdenken, wenn sie eintraf. Es bedeutete für sie keinen Vorteil, und sie brauchte nicht zu wissen, daß er ebensowenig in die Nähe der Weißen Burg gehen würde, wie er eine Hand in eine Schlangengrube stecken würde, besonders wenn Elaida die Amyrlin war. Noch zehn Tage, und er würde seine Stiefel verspeisen, wenn noch zehn weitere Tage vergingen, bevor Merana sich einverstanden erklärte, ihm Salidars Unterstützung anzubieten, ohne diesen Unsinn darüber, ihn begleiten und ihm den Weg zeigen zu wollen. Dann konnte er seine ganze Aufmerksamkeit endlich Sammael zuwenden.
Während Rand dort saß und an Coiren schrieb, daß sie morgen nachmittag zwei ihrer Schwestern mit zum Sonnenpalast bringen sollte, begann Lews Therin hörbar zu murmeln. Ja. Sammael. Dieses Mal töte ich ihn. Demandred und Sammael und sie alle, dieses Mal. Ja, das werde ich tun.
Rand bemerkte es kaum.
KAPITEL
51
Die Gefangennahme
R and ließ Sulin seinen Umhang halten, damit er ihn anziehen konnte. Das geschah aus dem einfachen Grund, daß er ihn ihr hätte aus den Händen reißen müssen, wenn er ihn selbst hätte anziehen wollen. Sie versuchte ihm das Kleidungsstück, wie üblich ungeachtet solch unwichtiger Einzelheiten, wo beispielsweise seine Arme waren, umzulegen. Das Ergebnis war ein kleiner Tanz inmitten seines Schlafzimmers. Lews Therin kicherte mit einer Art verrücktem Vergnügen -gerade laut genug, um gehört zu werden. Sammael, o ja, aber zuerst Demandred. Zuallererst beseitige ich ihn, dann Sammael. O ja. Wenn der Mann Hände gehabt hätte, dann hätte er sie sich gewiß schadenfroh gerieben. Rand achtete nicht auf ihn.
»Verhaltet Euch respektvoll«, murmelte Sulin leise. »Ihr habt den Aes Sedai in Caemlyn keinen Respekt erwiesen, und Ihr habt gesehen, was daraus entstanden ist. Die Weisen Frauen... Ich habe gehört, daß die Weisen Frauen Dinge sagen... Ihr müßt Euch respektvoll verhalten, mein Lord Drache«, brachte sie abschließend hervor.
Schließlich gelang es ihm, den Umhang vollständig anzuziehen. »Ist Min schon gekommen?«
»Seht Ihr sie, mein Lord Drache?« Sie zupfte eine imaginäre Fussel von der roten Seide. Dann begann Sulin seine Knöpfe zu schließen. Es ging schneller, wenn er seine Arme
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