Herr des Chaos
erinnert, daß es im Rahad schlimmere Dinge gab als Enttäuschung. Genau vor ihr sprang ein schlanker Mann mit blutverschmierter Brust und einem Dolch in der Hand aus einem Eingang und wirbelte sofort wieder herum, um sich einem anderen Mann entgegenzustellen, der ihm folgte. Der zweite war größer und schwerer und blutete an einer Wange. Sie umkreisten einander, die Blicke ineinander verschränkt und die ausgestreckten Klingen blitzend und sich vortastend. Eine kleine Menschenmenge versammelte sich wie aus dem Boden gewachsen, um zuzusehen. Niemand kam angelaufen, aber es ging auch niemand vorbei.
Elayne und Birgitte traten auf eine Seite der Straße, aber sie gingen nicht weiter. Das hätte im Rahad Aufmerksamkeit erregt - das letzte, was sie wollten. Elayne gelang es, an den beiden Männern vorbei dorthin zu blicken, wo nur vage, verschwommene, schnelle Bewegung erkennbar war, bis sich die Bewegung plötzlich verlangsamte. Sie blinzelte und zwang sich, wieder hinzusehen. Der Mann mit der blutverschmierten Brust stolzierte umher, grinste und fuchtelte mit seiner bluttriefenden Klinge herum. Der größere Mann lag keine zwanzig Schritte entfernt mit dem Gesicht nach unten auf der Straße und keuchte schwach.
Elayne trat instinktiv näher - ihre nicht sehr ausgeprägte Fähigkeit zu Heilen war besser als nichts, wenn ein Mann verblutete, und zum Krater des Verderbens mit dem, was jedermann hier über Aes Sedai dachte -, jedoch kniete sich, bevor sie einen zweiten Schritt tun konnte, eine andere Frau neben den Mann. Sie war vielleicht ein wenig älter als Nynaeve und trug ein blaues Gewand mit rotem Gürtel, das in etwas besserem Zustand war als die meisten Gewänder im Rahad. Elayne glaubte zunächst, sie sei die Geliebte des Mannes. Niemand machte Anstalten zu gehen. Jedermann beobachtete schweigend, wie die Frau den Mann auf den Rücken drehte.
Elayne zuckte zusammen, als die Frau, statt dem Mann sanft das Blut von den Lippen zu wischen, eine Handvoll Kräuter aus ihrer Tasche nahm und ihm einige davon hastig in den Mund steckte. Bevor sie ihre Hand zurückzog, umhüllte sie das Schimmern Saidars, und sie begann die Heilenden Stränge geschickter zu weben, als Elayne es vermocht hätte. Der Mann keuchte so heftig, daß er die meisten Kräuterblätter wieder ausstieß, erschauderte - und lag dann still, die halb geöffneten Augen der Sonne zugewandt.
»Es war anscheinend zu spät.« Die Frau erhob sich und stellte sich vor den hageren Burschen. »Ihr müßt Masics Frau sagen, daß Ihr ihren Mann getötet habt, Baris.«
»Ja, Asra«, erwiderte Baris demütig.
Asra wandte sich ohne ein weiteres Wort ab, und die kleine Menschenmenge teilte sich vor ihr. Als sie in nur wenigen Schritten Entfernung an Elayne und Birgitte vorbeiging, bemerkte Elayne zwei Dinge an ihr. Das eine war ihre Kraft. Elayne spürte ihr bewußt nach. Sie erwartete ein hinreichendes Maß an Kraft vorzufinden, aber Asra wäre wahrscheinlich nicht einmal gestattet worden, den Test zur Aufgenommenen zu machen. Das Heilen mußte ihr stärkstes Talent sein - vielleicht ihr einziges, da sie eine Wilde sein mußte -und vom Gebrauch ausgezeichnet geschärft. Vielleicht glaubte sie sogar, daß diese Kräuter nötig wären. Und als zweites bemerkte Elayne das Gesicht der Frau. Es war nicht sonnengebräunt, wie sie zunächst vermutet hatte. Asra war höchstwahrscheinlich eine Domani. Was, unter dem Licht, tat eine Domani-Wilde im Rahad?
Elayne wäre der Frau gefolgt, aber Birgitte zog sie in die entgegengesetzte Richtung. »Ich kenne diesen Ausdruck in Euren Augen, Elayne.« Birgitte suchte die Straße ab, als erwarte sie, daß einer der Vorübergehenden sie belauschte. »Ich weiß nicht, warum Ihr dieser Frau hinterherjagen wollt, aber sie scheint geachtet zu sein. Kommt Ihr dieser Frau zu nahe, sehen wir uns vielleicht mehr Klingen gegenüber, als wir zusammen bewältigen können.«
Das war schlicht die Wahrheit, und sie waren auch nicht nach Ebou Dar gekommen, um Domani-Wilde zu suchen.
Sie berührte Birgittes Arm und deutete auf zwei Männer, die gerade vor ihnen um die Ecke traten. In seinem Satinumhang sah Nalesean jeder Zoll wie ein tairenischer Lord aus. Sein Reiseumhang war bis zum Hals geschlossen, und sein verschwitztes Gesicht glänzte fast ebenso wie sein geölter Bart. Er starrte jedermann, der ihn auch nur ansah, dermaßen an, daß er unweigerlich in einen Kampf verwickelt wäre, und er liebkoste sein Schwertheft so, als würde er
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