Herr des Chaos
Schnurrbart auszureißen. Mat wußte, was vor sich ging. Sie taten es gerade ihm zum Trotz.
Nalesean und die anderen warteten mürrisch und schwitzend und standen dicht zusammengedrängt. Nalesean betastete sein Schwertheft, als wünschte er sich heute eine Gelegenheit, es zu benutzen.
»Wir werden heute auf die andere Seite des Flusses gehen«, sagte Mat. Mehrere der Rotwaffen wechselten unbehagliche Blicke. Sie hatten die Geschichten gehört.
Vanin schüttelte den Kopf. »Zeitverschwendung«, sagte er tonlos. »Lady Elayne würde niemals an einen solchen Ort gehen. Die Aiel-Frauen vielleicht oder Birgitte, aber nicht Lady Elayne.«
Mat schloß einen Moment die Augen. Wie hatte Elayne es geschafft, einen guten Mann in so kurzer Zeit zu verderben? Er hoffte noch immer, daß Vanin mit der Zeit und fern ihres Einflusses wieder vernünftig würde, aber allmählich verlor er diese Hoffnung. Licht, wie er adlige Frauen verachtete! »Nun, wenn wir sie heute nicht sehen, können wir den Rahad vergessen -sie werden dort auffallen wie eine bemalte Lerche in einer Schar Drosseln -, aber ich beabsichtige sie auch dann zu finden, wenn sie sich unter einem Bett im Krater des Verderbens verbergen. Macht euch wie immer zu zweit auf die Suche und gebt einander Rückendeckung. Jetzt treibt einige Bootsführer auf, die uns hinüberbringen können. Verdammt, ich hoffe, daß sie nicht alle hinausgefahren sind, um den MeervolkSchiffen Obst zu verkaufen.«
Für Elayne sahen die Straßen genauso aus wie in Tel'aran'rhiod, fünf- bis sechsstöckige Ziegelsteingebäude, teilweise mit einer dünnen Schicht Mörtel bedeckt, die eng zusammenstanden und über dem unebenen Straßenpflaster aufragten. Jegliche Schatten schwanden zu dieser Tageszeit, wenn die goldene Sonne über den Köpfen brannte, vollständig aus den schmalen Gassen. Fliegen summten überall umher. Die einzigen Unterschiede zur Welt der Träume waren die vor den Fenstern hängende Wäsche, die Menschen - obwohl sich in der Mittagshitze nicht viele Leute draußen aufhielten -und der Geruch, ein äußerst stechender, kränklicher Geruch nach Verfall, der sie veranlaßte, nicht zu tief atmen zu wollen. Leider ähnelten sich alle Straßen im Rahad.
Sie legte Birgitte eine Hand auf den Arm und hieß sie anhalten, als sie ein grobes Ziegelsteingebäude erblickte, bei dem vor einigen Fenstern schmuddelige Wäsche hing. Das leise Weinen eines Babys drang von irgendwo dort drinnen heraus. Das Gebäude hatte die richtige Anzahl Stockwerke - sechs. Sie war sicher, daß es sechs gewesen waren. Nynaeve beharrte darauf, daß es nur fünf waren.
»Ich glaube nicht, daß wir hier stehenbleiben und das Haus anstarren sollten«, sagte Birgitte leise. »Die Leute schauen schon.«
Das stimmte nicht ganz, in Wahrheit sorgte sich Birgitte nur um sie. Männer ohne Hemden und häufig in zerrissenen Westen stolzierten die Straße entlang, wobei das Sonnenlicht auf ihren Messingkreolen und den mit Buntglas geschmückten Ringen glitzerte, oder sie schlichen wie Köter dahin. Die Frauen taten es ihnen in üblicherweise abgetragenen Kleidern und mit billigem Schmuck gleich. Alle trugen einen gebogenen Dolch im Gürtel und häufig auch ein einfach gearbeitetes Messer.
In Wahrheit gönnte niemand ihr und Birgitte einen zweiten Blick, obwohl Birgittes gealtertes Gesicht häufig herausfordernd wirkte und sie selbst für eine Ebou Dari groß war. Als Elayne Birgitte ansah, erblickte sie eine Frau mit feinen Fältchen in den Augenwinkeln und von Grau durchzogenem schwarzen Haar. Die Verkleidungen waren leichter zu durchschauen, je näher man dem blieb, wie ein Mensch wirklich war. Daher war auch Birgittes Haar, das ihr in vier dicken, mit grünen Bändern befestigten Flechten über den Rücken hing, erheblich länger, als jede Ebou Dari es trug, aber auch Elayne hatte ihr Haar nicht geschnitten, und niemand schien es zu beachten. Es war eine perfekte Verkleidung. Sie wünschte nur, sie müßte nicht auch schwitzen. Mit dem komplizierteren Gewebe aus Geist, das die Fähigkeit der Frauen, die Macht zu lenken, verbarg, war Elayne heute morgen auf ihrem Weg aus dem Palast direkt an Merilille vorbeigegangen. Sie trug es auch jetzt noch. Sie hatten Vandene und Adeleas mehr als einmal auf dieser Seite des Flusses gesehen.
Ihre Kleidung war natürlich nicht Teil des Gewebes, sondern es waren abgetragene Wollgewänder mit ausgefranster Stickerei an den Ärmeln und um den Halsausschnitt. Auch ihre Strümpfe waren
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