Herr Lehmann: Herr Lehmann
Mensch.
„Das ist mit Transvestiten und so", sagte seine Mutter, „das kriegt man sonst nirgendwo."
„Wieso Transvestiten?" fragte Herr Lehmann. „Ich dachte, das ware was mit Harald Juhnke."
„Harald Juhnke?" Seine Mutter guckte irritiert. „Der hat doch nichts mit Transvestiten zu tun."
Sein Vater lachte.
„Du hattest mir doch damals am Telefon erzahlt, da wäre was mit Harald Juhnke."
„Ach das, nein, das ist mit Transvestiten", sagte seine Mutter.
„Ich soll dich öbrigens schön größen", sagte sein Vater. „Von Frau Brandt."
Wer ist Frau Brandt?"
„Ach so, die hieß fröher, also friiher hieß die Fräulein Dormann, die kennt dich noch von damals, die ist aus der Buchhaltung."
„Oh", sagte Herr Lehmann, der sich vor allem deshalb an Fräulein Dormann erinnerte, weil sie ihn seinerzeit entjungfert hatte. „Gibt's die noch?"
„Ja, ja, die ist jetzt verheiratet. Hat aber keine Kinder."
Herr Lehmann sah mißtrauisch seinen Vater an. Der hatte wieder dieses feine Lächeln drauf. Er ist rätselhaft, dachte Herr Lehmann, wahrscheinlich unterschätze ich ihn dauernd, und dieser Gedanke hatte etwas Tröstliches.
Das ist aber ein guter Kaffee", sagte seine Mutter. Ünd der Junge hat ihn bezahlt", wandte sie sich an ihren Mann. „So weit ist es schon."
„Vielen Dank, Frank", sagte sein Vater. „Ist nett von dir."
„Ja, wirklich", bekräftigte seine Mutter.
Herrn Lehmann war das unangenehm. Er wollte nicht, daß seine Eltern das Geföhl hatten, sich bei ihm bedanken zu missen. Das war irgendwie nicht richtig.
Hast du denn jetzt eine Freundin?"
„Martha, jetzt här doch mal damit auf", sagte sein Vater und wandte sich dann an Herrn Lehmann. Die ganze Zeit liegt sie mir schon damit in den Ohren, von Helmstedt bis hier: Hat der Frank eigentlich eine Freundin? Ob der wohl mal eine Freundin hat, die er uns vorstellt . . . "
„Als ob da was Schlimmes dran wäre. Er ist doch nicht vom anderen Üfer oder so."
„Das hat ja auch keiner behauptet."
Na, ich etwa?"
„Hab ich doch gar nicht gesagt. Du hast doch damit angefangen."
„Ich mein ja bloß, man wird ja mal fragen durfen."
„Nein, so was gehört sich nicht."
„Jetzt streitet euch doch nicht", sagte Herr Lehmann, dem auffiel, daß sich im Foyer immer mehr Leute ansammelten, die alle etwa im Alter seiner Eltern waren. Daraus folgerte er, daß sie sich langsam auf zwölf Uhr zubewegten und die Stadtrundfahrt bald begann.
Hoört mal" , ergriff er die Initiative, wie geht das denn jetzt weiter? Ich meine, die Stadtrundfahrt wurde ich auslassen, wenn ihr heute abend mit mir essen geht. Es ist immerhin mein Lokal, oder jedenfalls das, wo ich die Geschöfte fuhre", mein Gott, dachte er, wie gespreizt das klingt, die mussen mich ja fur bescheuert halten, „außerdem hatten wir das ja so besprochen."
Das stimmt" , sagte seine Mutter.
Sein Vater nickte. „Vorher wörde ich mich gerne noch ein bißchen hinlegen", sagte er. „Diese Stadtrundfahrt wird mir den Rest geben. Das ist genau das, was ich jetzt brauche, eine schöne Busfahrt."
„Den Tisch hab ich fur acht Uhr reserviert."
„So spat", sagte seine Mutter, „und dann noch warm essen!"
„Jetzt hör aber mal auf", sagte sein Vater, „zu Hause essen wir doch auch nicht fruher."
„Naturlich, wir sind immer zur Tagesschau fertig."
„Ja, aber da sind wir ja nicht in Berlin."
„Das stimmt."
Herr Lehmann seufzte. „Ich schreib euch mal die Adresse auf." Er ging zur Rezeption und bat um Stift und Zettel. Die Frau dahinter löachelte ihn auf eine Weise an, die ihm durch Mark und Bein ging. Es ist nicht alles schlecht am Kudamm, dachte er, als er zu seinen Eltern zuriickging. Man muß nur von der Straße runter und die Naziwitwen-Cafes vermeiden.
Das ist die Adresse" , sagte er, als er wieder bei seinen Eltern saß und ihnen den Zettel hinlegte, „das ist in Kreuzberg."
„Ach Gott", sagte seine Mutter, „und wenn da jetzt Krawalle sind."
„Jetzt hör aber auf", sagte sein Vater, „das ist doch schon Jahre her."
„So was kann immer mal losgehen", sagte seine Mutter weise.
Ja, das stimmt" , sagte Herr Lehmann grausam, aber sieh es mal so: Kreuzberg ist so groß wie Hemelingen, die Neue Vahr, Sebaldsbruöck und Arsten zusammen."
„Ach so."
Jedenfalls muößt ihr das nur dem Taxifahrer sagen, und dann geht das schon" , sagte Herr Lehmann.
Im Foyer wurde es jetzt richtig voll und Herr Lehmann wurde das unangenehme Gefuhl nicht los, daß sie von den anderen
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