Herr Lehmann: Herr Lehmann
Busreisenden beobachtet wurden. Sie sind es nicht gewohnt, daß Leute jemanden dort kennen, wo sie mit dem Bus hinfahren, dachte er. Fur die sind meine Eltern jetzt Experten. Mit einem mißratenen Sohn. Aber mit Kaffee, dachte er.
„Daß du aber auch so viel rauchst."
„Nun laß ihn doch rauchen."
„Ein Taxi kriegt ihr hier uberall."
„Das geht schon", sagte sein Vater. „Ist ja nicht das erste Mal, daß wir Taxi fahren."
Sie schwiegen eine Weile. Herr Lehmann merkte, daß seine Eltern unruhig waren. Der Bus ging wohl bald. Sein Vater schaute auf die Uhr.
Wie späat ist es denn?" fragte Herr Lehmann.
„Zwanzig vor", sagte sein Vater.
Tut mir leid, wenn ich nicht mitkomme" , sagte Herr Lehmann, aber das ist wohl nichts fär mich."
„Nee, laß man", sagte sein Vater, „wärde ich auch nicht machen."
Da sieht man mal alles" , sagte seine Mutter hilflos. Das muß doch auch mal sein."
„Wir gucken uns das mal alles an", sagte sein Vater. „Du wirst sehen", sagte er und klopfte seiner Frau aufs Knie, „hinterher wissen wir mehr uber Berlin als Frank und sein Bruder."
„Wie geht's dem denn so?" fragte Herr Lehmann.
„Ach, der Manfred", sagte seine Mutter. „Da in New York, ob er da gläcklich ist ... ?"
„Er will Weihnachten vielleicht ruberkommen."
Kommst du denn auch mal wieder zu Weihnachten? Wenn doch auch dein Bruder kommt?"
Sicher" , sagte Herr Lehmann.
„Ich glaub, das geht los", sagte sein Vater. Die Leute um sie herum hatten aufgehort, auf sie herabzustarren, und drängelten sich am Hotelausgang. Seine Eltern standen auf, Herr Lehmann auch.
„Um acht, ja?" sagte Herr Lehmann. „Ich verlaß mich drauf."
„Kannst du, kannst du", sagte sein Vater. Seine Mutter nahm ihn in den Arm. „Ich habe dich ja noch gar nicht richtig begrußt", sagte sie und druckte ihn an sich. „Und jetzt gehen wir schon wieder getrennte Wege."
Wir sehen uns ja heute abend" , sagte Herr Lehmann.
„Alles klar", sagte sein Vater und klopfte ihm auf die Schulter.
Herr Lehmann ließ seinen Eltern und ihren Touristikgenossen den Vortritt, bevor er, nach einem langen, erwiderten Blick auf die Frau an der Rezeption, die ihn zum Abschied noch einmal anlächelte, selbst auf die Straße ging. Als er am Bus vorbeikam, klopfte seine Mutter, die auf dem Oberdeck am Fenster saß, noch einmal gegen die Scheibe und winkte.
Herr Lehmann winkte zuruäck und war pläotzlich traurig, daß er nicht mitgekommen war. Nicht, daß ihm am Checkpoint Charlie und am Brandenburger Tor mit Mauer und was da noch geboten wurde, etwas lag. Aber trotzdem. Irgendwie traurig. Ich werde weich, dachte er und zuändete sich eine Zigarette an, bevor er die Straße uberquerte, um den Bus zu nehmen.
Kapitel 12 GASTMAHL
Als Herr Lehmann um Punkt acht Ühr die Markthallenkneipe betrat, waren seine Eltern schon da. Sie saßen an einem guten Tisch, nicht zu nah an der Kuöche, nicht zu nah am Klo und nicht zu nah am Eingang, und sie redeten eifrig mit seinem besten Freund Karl, der sich extra feingemacht zu haben schien: Er trug einen selbst fur ihn noch zu weiten, schwarzen Anzug aus zweiter oder dritter Hand, den Herr Lehmann noch nie zuvor gesehen hatte, dazu ein weißes Hemd und eine Fliege. Er sah grotesk aus, wie ein Monsterpinguin nach dem Schleuderwaschgang. Herr Lehmann waöre am liebsten gleich wieder umgekehrt.
Da ist er ja" , sagte seine Mutter, als er an den Tisch kam.
„Hallo Boß", sagte sein bester Freund Karl und reichte ihm die Hand.
Keine Faxen" , sagte Herr Lehmann saöuerlich und setzte sich.
Wir haben uns schon gewundert, wo du bleibst" , sagte seine Mutter.
„Es ist Punkt acht Ühr", sagte Herr Lehmann. „Ihr wart zu fruh."
„Das Taxi fuhr so schnell."
Wie war die Stadtrundfahrt?"
„Anstrengend", sagte sein Vater.
Also, das mit der Mauer . . . " , sagte seine Mutter und schuöttelte sorgenvoll den Kopf.
Hier ist die Karte, Boß" , unterbrach Karl und reichte ihm die Karte. Seine Eltern hatten sie schon. Dann zundete Karl eine Kerze an. Es war die einzige Kerze im ganzen Lokal. Herrn Lehmann fiel auf, daß Karl schmutzige Fingernaögel hatte, und er fragte sich, ob ihm das nur jetzt, in seiner Eigenschaft als Pseudo-Geschöftsfuhrer, auffiel, oder ob sein bester Freund etwas abbaute.
Du brauchst nicht Boß zu sagen", sagte Herr Lehmann. Das sind uöbri-gens meine Eltern, und das ist Karl Schmidt."
Wissen wir doch alles" , sagte seine Mutter. Wir haben uns doch schon unterhalten."
„Das ist schän",
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