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Herrentier

Herrentier

Titel: Herrentier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Joseph
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Freundin war, nahm neben ihr Platz. Als Chefin war Evelyn glücklich über ihre junge Assistentin, als Frau jedoch war Jeanettes Ausstrahlung und Jugend für sie an Tagen wie heute die reinste Provokation. Evelyn starrte auf die eigenen Hände, die schon so manchem Elefanten in den Anus gegriffen und zahllosen Tieren auf die Welt geholfen hatten. Und dann sah sie wieder auf die makellos manikürten, schlanken Finger ihrer Assistentin.
    »Wo ist Henning?«
    »Er zeigt der Polizei die Sicherungssysteme«, antwortete Jeanette.
    »Dieser Idiot! Was muss denn der von einem  Insider  reden?« Beim Gedanken an die Pressekonferenz stieg Evelyn Hammer das Blut in den Kopf. »Stell dir mal vor, die finden dieses Monster nicht. Das bleibt doch ewig an uns hängen. Ach was, selbst wenn sie ihn kriegen.« Evelyn stockte, während ihr Tränen die Nase herunterrannen. »Diese Bestie!« Sie schloss für einen Moment die Augen und rieb sich mit den Händen über das Gesicht.
    »Über Jahrzehnte sammeln wir Spenden für die Affen und dann bringt einer von unseren eigenen Leuten sie um. Das wäre einfach nur pervers.« Sie holte tief Luft.
    »Tiere würden so etwas niemals tun«, flüsterte Jeanette und berührte den Oberarm ihrer Chefin.
    Evelyn hatte sich den ganzen Vormittag zusammengerissen. Doch der entsetzliche Anblick der ermordeten Äffin, die mit eingeschlagenem Schädel in einer riesigen Blutlache lag, hatte die sonst so robuste Frau in eine Achterbahn der Gefühle geworfen. Die Gespräche mit der Polizei und den Journalisten waren für sie wie in einem Film abgelaufen. Erst jetzt begann sie das Geschehene zu begreifen. Eine Mischung aus grenzenlosem Hass und tiefer Trauer erfüllte sie. »Und was machen wir mit der kleinen Anna?«, fragte Evelyn mit brechender Stimme. Sie ist doch noch ein Baby. Sie braucht doch eine Mutter!
    Einen Moment saßen sie schweigend am Tisch. Jeanette, die sich im Zoo um die Öffentlichkeits- und Marketingaufgaben kümmerte, war der Anblick Emmas erspart geblieben, und sie war es auch, die nun das Wort ergriff.
    »Hast du irgendeine Ahnung, was das Motiv gewesen sein könnte? Ich meine, es dringt doch niemand nachts in einen Zoo ein, nur um einen Affen zu töten?«
    »Offenbar doch. Ich kann mich da nicht hineinversetzen. Ich weiß nicht, was in solch kranken Leuten vor sich geht.«
    Jeanette sah sich im Büro um. Überall standen Tierskulpturen, waren Unterlagen ausgebreitet. Die fensterlose, lange Wand, links wenn man den Raum betrat, war über und über beklebt mit Zeitungsausschnitten und Fotos. Sie zeigten die Zoodirektorin, meist in Outdoorjacke, mal mit Tierpflegern, dann ein Bild aus den Neunzigern, mit einem Pinguin, mit Verantwortlichen der Stadt. Es dominierten Aufnahmen der letzten fünf Jahre, vom  Darwineum . Die feierliche Grundsteinlegung, auch Fotos von den Protesten aus dem Jahr 2010 hatte Evelyn angepinnt. Anrainer, Sportler und Umweltschützer hatten damals gegen den Neubau demonstriert. Teilweise gab es Ausschreitungen, Zäune wurden zerstört, Baufahrzeuge demoliert, aber an Tieren hatte man sich nie vergriffen. Schließlich hatte man einen Kompromiss gefunden, Teile der Anlage aus den Planungen entfernt und die Fläche verkleinert. Bäume, um die zuvor heftig gestritten worden war, konnten so gerettet werden. Auf einem Bild sah Jeanette sich selbst bei der Eröffnungsfeier mit einem kleinen Orang-Utan auf dem Arm. Den hatte man für jenen Abend extra von einem Zirkus gemietet, um die Gäste auf originelle Weise zu unterhalten. Sie war damals heilfroh, ihn wieder los zu sein. Ihre Frisur war danach total im Eimer, ihr Kleid war voll mit Haaren und stank nach Coco, dem Affen, nicht Chanel. Die Bilder von der Eröffnung gingen aber deutschlandweit durch die Presse. Das war das Wichtigste.
    »Sag mal, Evelyn, kann der Mord vielleicht mit den Protesten aus 2010 zu tun haben?«
    Ihre Chefin umfasste das Wasserglas und sah Jeanette nachdenklich an.
    »Nein, das ist schon Jahre her und am Ende waren das ein paar Spießer aus der Gartenstadt und ein paar maulige Jogger.« Die Zoodirektorin schüttelte den Kopf. »Nein, nein, für die ist das Thema durch.«
    Jeanette ließ nicht locker: »Aber was ist mit der Erweiterung, die wir jetzt bauen?«
    »Das ist doch mit allen Beteiligten besprochen worden. Es gab null Widerstand. Keiner wollte sich noch erinnern, jemals dagegen gewesen zu sein. Jetzt, wo der Zoo so gut läuft und Rostock mehr Abwechslung bringt.«
    Wieder schwiegen sie.

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