Herrentier
Kopf, sie war aus der Deckung gekommen, und das machte sie selbstbewusst.
»Hör zu, mein Lieber, ich habe dich nicht von deinem Boot geholt, um mit dir über Paarhufer zu fabulieren. Offen gestanden bin ich nach unserem gemeinsamen Essen mit diesem Kakadu von Bauamtsleiterin mehr als enttäuscht gewesen. Ich hatte gehofft, du hättest ein wenig mehr zu bieten als ein paar launige Bemerkungen zum Abendbrot.«
»Touché. Evelyn, es tut mir leid, wenn das Treffen nicht ganz deinen Erwartungen entsprochen hat …«
Sie ließ ihn nicht aussprechen und wiederholte seine letzten Worte, wobei sie seine Betonung simulierte. »Nicht ganz meinen Erwartungen entsprochen hat. Machst du Witze? Das war nichts. Im Gegenteil. Das war Mist! Vorher standen wir deutlich besser da.«
»Ich bitte dich, das lag aber kaum an mir. Du hast dich aufgeführt wie eine Furie.« Sein Tonfall verschärfte sich, in seinem Gesicht breiteten sich rote Flecken aus. »Dass wir noch nicht einmal den Hauptgang beenden konnten, kannst du doch nicht ernsthaft mir zuschreiben«, echauffierte er sich.
»Hattest du etwa noch einen Kalauer im Ärmel, der die Landgräfe zum Einlenken gebracht hätte? Entschuldige, das habe ich natürlich nicht gewusst.«
Er erwiderte nichts, rang offenbar um Fassung. Nach einem Moment des Schweigens forderte er sie mit einer Handbewegung auf, ein paar Schritte zu gehen. Mit gesenkten Köpfen schritten sie in Richtung der Marina. Sie ergriff als Erste das Wort.
»Es tut mir leid, das war nicht fair.«
Jan-Hendrik gab ein Räuspern von sich. »Mir tut es auch leid. Natürlich bedaure ich den Verlauf des Abends ebenso sehr wie du.«
Mit einer Hand berührte er ihren Rücken und ließ sie voran auf den Steg gehen.
»Von hier hat man wirklich eine herrliche Aussicht auf die Stadt.«
Er nickte. »Ich liebe es hier zu stehen. Gerade in den Abendstunden im Spätsommer oder an einem milden Herbsttag. Man kommt sogar mit dem Auto direkt ans Ufer.«
Sie gingen unmittelbar bis ans Ende der Anlegestelle, bis sie nur noch ein Schritt vom Wasser trennte. Jan-Hendrik atmete laut aus, er steckte die Hände in seine Seglerjacke und schaute versonnen zur anderen Seite. »Ich komme oft hierher, zu meinem Boot, einfach um nachzudenken. Man sieht die Dinge mit einem Tick mehr Distanz. Man ist nah und doch so fern, wie auf dem Dach eines Hauses.«
»Jan-Hendrik, ich will, ich muss mit dem Erweiterungsbau vorankommen. Ich habe so viel Zeit und Energie investiert, so viel einstecken und verkraften müssen …«, sie biss sich auf die Lippen, »… ich will nicht sagen, dass ich gleich über Leichen gehen will, aber ich werde das Ding durchboxen, koste es, was es wolle.« Er musterte ihren kämpferischen Gesichtsausdruck, dann verlor sich sein Blick auf der Wasseroberfläche.
»Evelyn, manchmal kann man Dinge nicht erzwingen.«
»Weißt du was?« Ihre Stimme zitterte. »Ich bekomme Erpresserbriefe. Damit komme ich klar. Und ich werde mich auch von so einer Bauamtspolitesse nicht davon abhalten lassen.«
»Das mit den Erpresserbriefen wusste ich nicht!«
»Ich bin davon ausgegangen, dass sie von Schwarck kamen. Aber jetzt hat mich wieder einer erreicht. Zumindest muss ich ihn als solchen verstehen.«
Mit weit aufgerissenen Augen drehte Kramer sich zu ihr, wobei er die Arme in die Hüften stützte. »Was? Aber wer, wenn nicht Schwarck …«
Evelyn nickte. »Der neue Brief sieht auch anders aus als der alte. Es kann sein, dass sich jemand einen bösen Scherz erlaubt hat. Keine Ahnung, was in den Menschen so vor sich geht.«
»Warst du schon bei der Polizei?«
»Nein. Offen gestanden, ich hatte weder Kraft noch Zeit dazu. Dabei hat der Erpresser dieses Mal einen Fehler gemacht.«
Die Dunkelheit hatte schon eingesetzt. Plötzlich ertönte ein Knall, dann noch einer, woraufhin weitere folgten. Es wurde taghell über dem Wasser.
»Ein Feuerwerk?« Evelyn war verwundert. »Ist heute irgendein besonderer Tag?«
Kramer blickte verwirrt über den breiten Fluß. »Da bin ich überfragt.«
»Hendrik, ich will ganz offen zu dir sein. Ich bin mit den Erpresserbriefen nicht zur Polizei und auch nicht zu dir gegangen, weil ich wusste, dass die Anlage der Spendengelder, die du mir damals empfohlen hast …«
Er unterbrach sie, »… die sich zum Vorteil des Zoos bestens verzinst haben.«
Evelyn nickte. »Ja, bestens, richtig. Nur wusste ich, dass es falsch war und dass es mich den Job und meine Karriere kosten würde, wenn es durch die
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