Herrgottswinkel
Hof ankam, sah er, wie seine Schwester gerade den Mist auf einem hölzernen Schubkarren zur Stalltür hinausfuhr. Die Mutter hörte er schon von Weitem schimpfen. Er war spät dran, heute musste er mit seinem Bruder, der bereits an der Haustüre stand und Ausschau nach ihm hielt, ins Holz. Schnell ging er in seine Kammer, zog sich um und riss sich in der Küche noch einen Ranken Brot herunter. Dann nahm er eine leere Flasche und ging in den Stall, wo er sie mit kuhwarmer Milch füllte.
Der Bruder kam mit Ross und Wagen, der mit Sägen und Äxten beladen war, aus der Tenne gefahren. Auch der Vater saß schon auf dem Wagen. Das kann ja heiter werden, dachte Daniel bei sich. Heute mussten sie wieder genau nach den Anweisungen des alten Gundler arbeiten, und es gab keine Möglichkeit, sich mittags eine Stunde unter einen Baum in den Schatten zu legen und auszuruhen. Und er war jetzt schon hundemüde, denn er hatte nachts ja kaum geschlafen.
Auf dem Weg ins Holz musste er immer wieder an seine zukünftige Frau, seine Berganna, wie er sie liebevoll nannte, denken. Sorgen machte er sich schon, wie es einmal werden sollte, wenn sie alle unter einem Dach zusammenleben würden. Seine herrschsüchtige Mutter, die ihm in der Vergangenheit jedes Mädchen vertrieben hatte – aus Eifersucht oder einfach nur aus Angst, auf dem Hof nicht mehr das Sagen zu haben? Und es waren nicht wenige heiratsfähige Frauen gewesen, die er nach Hause mitgebracht hatte. Immerhin war er ein gut aussehender junger Bursche mit seinen achtundzwanzig Jahren. Dazu sein Ruf als verwegener Wilderer weit über die Landesgrenze hinaus – das ließ manches Frauenherz höher schlagen. Und er hatte es weidlich ausgenützt, ein Hallod ri war er schon gewesen, doch das war jetzt vorbei, im merhin bekam seine Anna ein Kind und er würde bald Vater werden.
Das Laub hatte sich schon von Gelb über Orange bis Dunkelrot verfärbt, die schwächer gewordenen Sonnenstrahlen kamen nur noch vereinzelt bis auf den Waldboden und es wehte ein leichter, angenehmer Herbstwind, als sie mit dem Gespann ihren Arbeitsplatz erreichten.
»Heute müssen wir wieder Föhn haben«, klagte der Vater auf dem Wagen sitzend über die Schmerzen in seinem steifen Bein. Daniel und sein Bruder waren damit beschäftigt, Brennholz auf den Wagen zu laden und beachteten das Jammern ihres alten Herrn nicht. Als der Wagen voll beladen war, fuhr der Vater die erste Fuhre zum Hof zurück. Die beiden jungen Männer folgten zu Fuß.
Mittags gab es Kaiserschmarrn mit frischem Apfelmus. Es war nicht gerade ein Essen für schwer arbeitende Holzer, wie der Vater konstatierte. Er war sich sicher, dass seine Söhne ein für alle Mal vom Wildern genug hatten, nachdem sie vier Wochen in Kempten deswegen hatten einsitzen müssen. Die beiden Stutzen hatte er seinen Söhnen bereits letztes Jahr vorsorglich abgenommen. Nein, die Arbeit auf den Wiesen und im Holz reichte ihnen nach jener Bestrafung offensichtlich, so müde und zufrieden wie sie nach dem Kaiserschmarrn fast am Tisch einschliefen.
Was der alte Gundler aber nicht wusste, war, dass Daniel erst letzte Woche im Tirol sein neues Gewehr, einen Spitz-Kugelstutzen aus der Werkstätte des berühmten Büchsenmachers Knittel, dem Vater der noch berühmteren Adler-Nanni, abgeholt hatte. Doch nun würde er diesen Stutzen wohl nicht mehr brauchen. Fast tat es ihm schon leid, dass er ihn nicht vor seinem Versprechen zumindest einmal ausprobiert hatte. Aber einen Abnehmer würde er sicher für ihn finden, den Bocker vielleicht oder auch den Henne. Seine beiden Wildererfreunde trugen sich seit geraumer Zeit ebenfalls mit dem Gedanken, sich einen Stutzen im Tirol machen zu lassen. Und von dem Geld würde er Anna ein Hochzeitsgeschenk anfertigen lassen, das ihn immer an den Stutzen erinnern sollte. Was genau, das wusste er noch nicht, aber etwas ganz Besonderes musste es sein. So besonders, wie seine Anna für ihn war.
Von seinen Gedanken an das Hochzeitsgeschenk wieder in die Wirklichkeit zurückgebracht, erklärte Daniel seinen Eltern, dass er am Sonntag nach der Kirche das Aufgebot bestellen wolle. »Wenn du meinst, dass so eine die Richtige für dich ist«, erwiderte seine Mutter mürrisch. Die Männer gingen nach dem Essen wieder ins Holz und so vergingen auch die folgenden Tage.
Am Sonntag traf Daniel schon um acht Uhr in der Früh mit Anna im Pfarrhof in Fischen ein und sie bestellten das Aufgebot. Nach dem Gottesdienst wusste ganz Bolsterlang, dass der
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