Herrin der Dunkelheit
Angst zu dem Bett, das er eben verlassen hatte, doch er sah nur Dunkel.
Doch dann erhob sich aus dem Dunkel, doch nicht sehr hoch, die große, fahle Gestalt seines ›Studentenliebchens‹. Sie schien umherzublicken, zu wittern wie ein Mungo oder ein Wiesel, ihr Kopf auf dem schlanken Hals nickte nach dieser und jener Richtung; und dann kam sie mit schlängelnden, eiligen Bewegungen, die ein entnervendes, trocken-raschelndes Geräusch verursachten, auf ihn zu – über den umgestürzten Tisch und all das auf dem Boden verstreute Chaos – ihre langfingerigen Hände an den drahtigen, bleichen Armen weit vorgestreckt. Und während er noch versuchte, auf die Beine zu kommen, packten sie ihn mit einem erschreckend kräftigen Griff an Schulter und Hüfte, und in derselben Sekunde zuckte eine Verszeile durch sein Gehirn: ›Geister sind wir, doch mit Skeletten aus Stahl.‹
Mit einer aufwallenden Kraft, die aus Todesangst geboren wurde, riss er sich los, befreite sich aus den Zangen der Hände. Doch sie hatten immerhin verhindert, dass er auf die Beine kam. Er hatte sich herumwerfen müssen, lag nun am Rand des hellen Rechtecks auf dem Rücken und strampelte und stieß mit Armen und Beinen.
Papiere und Schachfiguren und der Inhalt des Aschenbechers wurden noch weiter verstreut. Ein Weinglas zersplitterte, als er mit dem Absatz dagegentrat. Das ebenfalls zu Boden gefallene Telefon begann zu fiepen wie eine wütend pedantische Maus, von der Straße kam das Jaulen einer Sirene, und es klang, als ob ein Hund gequält würde, er hörte ein lautes reißendes Geräusch, wie in seinem Traum – die verstreuten Papiere wirbelten durcheinander und hoben sich, anscheinend in kleinen Fetzen, ein wenig vom Boden – und durch dieses Pandämonium hörte er ein ersticktes, kehliges, heiseres Schreien – sein eigenes.
Sein ›Studentenliebchen‹ trat mit wiegenden, schlängelnden Bewegungen ins Mondlicht. Ihr Gesicht blieb nach wie vor im Schatten, doch er konnte jetzt erkennen, dass ihr schlanker, breitschulteriger Körper allein aus in Fetzen gerissenem, fest zusammengepresstem Papier bestand, das zu einem fahlen Braun vergilbt war, als ob es die Seiten aller alten Zeitschriften und Bücher wären, die ihren Körper auf dem Bett geformt hatten, und um ihr verschattetes Gesicht hing schwarzes Haar (die zerfetzten Bücherrücken?) Ihre drahtigen Glieder schienen aus fest zusammengedrehtem und zusammengeflochtenem fahlbraunem Papier zu bestehen; die langen Beine trugen sie mit beängstigendem Tempo auf ihn zu, die Arme schlangen sich um ihn, warfen ihn auf den Rücken, hielten seine Arme fest (und die langen Beine umklammerten die seinen), obwohl er verzweifelt um sich stieß, und, völlig ausgepumpt von seinem Schreien, nur noch keuchte und stöhnte.
Dann wandte sie den Kopf, und Mondlicht fiel auf ihr Gesicht. Es war lang, spitz zulaufend, erinnerte an einen Fuchs oder ein Wiesel, und war, wie ihr Körper, aus fest zusammengepresstem Papier geformt, das jedoch hier von einer weißen Schicht bedeckt wurde (das Reispapier?) und überall kleine, unregelmäßige schwarze Flecken zeigte. (Thibauts Tinte?) Das Gesicht hatte keine Augen, obwohl es in sein Gehirn und in sein Herz zu starren schien. Es hatte keine Nase. (War dies der Nasenlose?) Es hatte keinen Mund – doch dann begann das lange Kinn zu zittern und hob sich ein wenig, wie die Schnauze eines Tiers, und er sah, dass es unten eine rüsselartige Öffnung hatte.
Er wusste plötzlich, dass dies unter den losen Roben und schwarzen Schleiern von de Castries’ geheimnisvoller Lady gesteckt hatte, die ihm selbst bis zum Grab gefolgt war, kompakte Intellektualität, nur Papier (ein ›Studentenliebchen‹ im wahrsten Sinne des Wortes!), die Königin der Nacht, die Gestalt auf dem Gipfel, das Ding, das selbst Thibaut de Castries gefürchtet hatte. Unsere Mater Tenebrarum, Mutter der Finsternis, Herrin der Dunkelheit.
Die Kabelstränge der geflochtenen Arme und Beine pressten sich immer enger um ihn, und das Gesicht, das jetzt wieder im Schatten war, näherte sich lautlos dem seinen. Und Franz konnte nichts weiter tun, als seinen Kopf zur Seite zu drehen.
Der Gedanke an das Verschwinden der alten Taschenbücher zuckte durch sein Gehirn, und er wusste jetzt, dass sie, zu kleinen Fetzen zerrissen, das Rohmaterial für die fahlbraune Gestalt geliefert haben mussten, die er zweimal von den Corona Heights aus in seinem Fenster gesehen hatte.
Er sah in der dunklen Zimmerdecke,
Weitere Kostenlose Bücher