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Herrin der Dunkelheit

Herrin der Dunkelheit

Titel: Herrin der Dunkelheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fritz Leiber
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oberhalb der sich herabsenkenden Schnauze, einen kleinen Fleck sanfter, harmonischer, geisterhafter Farben – das Pastell-Spektrum des Mondlichts, von einem seiner im hellen Rechteck am Boden liegenden Prismen an die Decke geworfen.
    Das trockene, rauhe, harte Gesicht presste sich gegen das seine, verschloss ihm den Mund, drückte seine Nasenlöcher zusammen; die Schnauze grub sich in seinen Hals. Er fühlte ein erdrückendes, unerträglich schweres Gewicht auf sich lasten. (Der Fernsehturm und die Transamerica-Pyramide! Und die Sterne?) Und in Mund und Nase den knochentrockenen, bitteren Staub von Thibaut de Castries.
     
    In diesem Augenblick strömte helles, weißes Licht ins Zimmer, und als ob man ihm ein sofort wirkendes Stimulans injiziert hätte, gelang es ihm, sein Gesicht von dem runzeligen Horror wegzudrehen und seinen Körper halb herumzuwerfen.
    Die Tür zum Korridor war weit geöffnet, im Schloss steckte ein Schlüssel, und Cal stand auf der Schwelle, den Rücken an den Türrahmen gelehnt, ihre Hand am Lichtschalter. Sie keuchte, als ob sie rasch gelaufen wäre. Sie trug noch immer das weiße Abendkleid, das sie bei ihrem Konzert angehabt hatte, darüber einen schwarzen Samtmantel, der offen hing. Sie blickte über und hinter ihn, und auf ihrem Gesicht stand ein Ausdruck ungläubigen Entsetzens. Dann fiel ihre Hand vom Lichtschalter, ihre Knie knickten ein, und sie sank lautlos zusammen. Ihr Rücken blieb gegen den Türrahmen gelehnt, die Schultern zurückgenommen, das Kinn erhoben, und ihre von Angst gefüllten Augen blinzelten nicht ein einziges Mal. Als sie auf ihren Fersen hockte, wie ein afrikanischer Medizinmann öffneten sich ihre Augen vor gerechter Wut noch weiter; sie nahm das Kinn an die Brust, ein harter, gehässiger Ausdruck trat auf ihr Gesicht, und sie sagte mit einer Stimme, wie sie Franz noch nie von ihr gehört hatte:
    »Im Namen von Bach, Mozart und Beethoven, im Namen von Pythagoras, Newton und Einstein, bei Bertrand Russell, William James und Eustace Hayden, weiche! Alle unharmonischen und nichtgeordneten Gestalten und Kräfte, verschwindet sofort!«
    Während sie sprach, hoben sich alle Papiere um Franz (jetzt konnte er sehen, dass sie wirklich zu Fetzen zerrissen waren) knisternd und raschelnd vom Boden auf, die harten Klammergriffe um seine Arme und Beine lösten sich, so dass er langsam auf Cal zukriechen konnte, wobei er mit seinen halbfreien Armen und Beinen um sich stieß. Mitten in Cals gewalttätigem Exorzismus begannen die fahlbraunen Papierfetzen plötzlich wild umherzuwirbeln und schienen sich zu verzehnfachen. Das Gewicht hob sich ganz von ihm, und er war frei, so dass er schließlich durch einen dichten Papier-Schneesturm auf Cal zukroch.
    Die unzählig scheinenden Schnipsel sanken raschelnd um ihn herum zu Boden. Er legte den Kopf in Cals Schoß (sie saß aufgerichtet auf der Türschwelle) und lag eine Weile so, keuchend, einen Arm um ihre Taille geschlungen, und fühlte Cals Finger beruhigend über seine Wange streichen, während die andere Hand braune Papierschnipsel von seiner Jacke zupfte.

 
29
     
    Franz hörte Gun aufgeregt rufen: »Cal, ist alles in Ordnung? Franz!«
    Dann Saul: »Was, zum Teufel, ist mit seinem Zimmer passiert?«
    Dann wieder Gun: »Mein Gott! Es sieht aus, als ob seine ganze Bibliothek durch den Destroysit gejagt worden wäre!«
    Franz sah von den beiden nicht mehr als Schuhe und Beine. Komisch. Neben ihnen war noch ein drittes Paar – braune, ziemlich kleine Schuhe, darüber braune Denim-Hosenbeine. Natürlich Fernando!
    Entlang dem Korridor wurden Türen aufgerissen, Köpfe herausgestreckt. Die Türen des Lifts glitten auf, und Dorotea und Bonita traten heraus; ihre Gesichter waren besorgt und gespannt. Doch was Franz bemerkte, und was seinen Blick und sein Interesse besonders fesselte, weil es ihn irritierte und wunderte, war ein Stapel verstaubter Wellpappkartons, der gegenüber vom Besenschrank entlang der Wand sauber aufgeschichtet war, und daneben standen drei alte Koffer und ein kleiner Schrankkoffer.
    Saul hatte sich neben ihn gekniet, fühlte mit professioneller Kompetenz seinen Puls, zog ein Augenlid hoch und kontrollierte die Pupillenreflexe, ohne ein Wort zu sagen. Als er fertig war, nickte er Cal beruhigend zu.
    Franz blickte ihn fragend an. Saul lächelte und sagte: »Weißt du, Franz, Cal ist nach dem Konzert hinausgestürmt wie eine Fledermaus aus der Hölle. Sie hat sich eben noch mit den anderen Solisten verbeugt und

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