Herrin der Falken
ich zähmen, ich brauche sie nicht freizulassen, ich kann mit ihr fertig werden.
Das Fieber, das seinen Einzug in die Burg gehalten und Davin befallen hatte, war beinahe ihr Freund. An einem gewöhnlichen Tag hätte Romilly Pflichten und Unterricht gehabt. Heute jedoch war die Erzieherin, die sie mit ihrer jüngeren Schwester Mallina teilte, ebenfalls von dem Fieber angehaucht. Sie fröstelte im Schulzimmer am Feuer und hatte Romilly die Erlaubnis gegeben, zu den Ställen zu gehen und auszureiten. Sie könne sich auch mit ihrem Buch oder ihrer Handarbeit ins Gewächshaus hoch oben in der Burg setzen und unter den Blättern und Blüten lernen – das Licht tat Domna Calindas Augen immer noch weh. Die alte Gwennis, Romillys Kinderfrau, als sie und ihre Schwester noch klein waren, hatte mit Mallina zu tun, die zu Bett lag, wenn auch nicht gefährlich krank. Und Lady Luciella, ihre Stiefmutter, wich nicht von der Seite des neunjährigen Rael, denn er hatte das Fieber in seiner schlimmsten Form, litt unter entkräftenden Schweißausbrüchen und konnte nicht schlucken.
So hatte Romilly sich selbst einen herrlichen Tag der Freiheit in Ställen und Falkenhaus versprochen. Ob Domna Calinda wirklich so dumm war, daß sie glaubte, Romilly würde einen unterrichtsfreien Tag mit einem blöden Lehrbuch oder einer Handarbeit verbringen? Aber sie hatte Davin auch fieberkrank gefunden, und er war froh, daß sie kam. Sein Lehrling war noch zu ungeschickt, um den unabgetragenen Vögeln in die Nähe zu kommen. Deshalb hatte er Romilly befohlen, sie beide freizulassen. Und sie hatte zunächst einmal gehorcht. Aber dieser Falke gehörte ihr! Auch wenn er wütend und schlechtgelaunt auf seinem Block saß, die roten Augen verschleiert vor Zorn und Entsetzen, bei der geringsten Annäherung wild mit den Flügeln schlug – er gehörte ihr, und früher oder später erkannte er das Band zwischen ihnen bestimmt. Romilly wußte jedoch, daß es weder schnell noch leicht gehen würde. Sie hatte schon Nestlinge aufgezogen – junge Vögel, im Falkenhaus ausgebrütet oder noch hilflos gefangen, bevor ihnen Federn wuchsen –, sie daran gewöhnt, Atzung von einer Hand oder einem Handschuh zu nehmen. Aber dieser Falke hatte zu fliegen, zu jagen und sich in der Wildnis selbst zu versorgen gelernt. Das waren bessere Jäger als in der Gefangenschaft groß gewordene Vögel, doch schwerer zu zähmen.
Etwa zwei von fünfen verhungerten lieber, bevor sie Atzung annahmen. Romilly mochte gar nicht daran denken, daß dies auch ihrem Falken passieren könne. Irgendwie würde, mußte sie den Abgrund zwischen ihnen überbrücken. Der Falke peitschte von neuem die Luft mit den Flügeln. Romilly kämpfte darum, sie selbst zu bleiben, sich nicht in die Panik und Wut des Vogels hineinziehen zu lassen. Gleichzeitig versuchte sie, Wellen der Ruhe auszusenden. Ich will dir nicht weh tun, Schöne. Sieh, hier ist Essen. Das Falkenweibchen ignorierte das Signal und tobte weiter. Romilly fiel es schwer, nicht ängstlich zurückzuweichen, sich nicht von den anbrandenden Wogen der Angst und des Entsetzens überfluten zu lassen, die von dem gefesselten Vogel ausgingen. Diesmal hatte das Flügelschlagen doch schneller als vorher aufgehört? Der Falke ermüdete. Wurde er schwächer, würde er sich den Weg in Erschöpfung und Tod erkämpfen, bevor er bereit war, sich zu ergeben und von dem Handschuh zu kröpfen? Romilly wußte nicht, wieviel Zeit vergangen war. Aber als der Falke sich beruhigte und ihre Gedanken sich klärten, so daß sie von neuem wußte, sie war Romilly und nicht der in Raserei versetzte Vogel, fand sie ihren Atem wieder. Für einen Augenblick ließ sie den Handschuh von der Hand gleiten. Ihr war, als würden Hand und Arm gleich aus den Gelenken brechen. Sie war sich nur nicht sicher, ob es daran lag, daß der Handschuh zu schwer für sie war (sie hatte Stunden damit verbracht, ihn am ausgestreckten Arm zu halten, hatte den Schmerz der verkrampften Muskeln ertragen, um sich an sein Gewicht zu gewöhnen) oder ob es etwas mit dem wilden Schlagen ihrer Flügel zu tun hatte… nein. Nein, sie durfte nicht vergessen, wer von ihnen sie selbst und wer der Falke war. Romilly lehnte sich an die rauhe Wand hinter ihr und schloß halb die Augen. Fast schlief sie im Stehen ein. Doch sie durfte weder schlafen noch sich bewegen.
Man läßt einen Falken in diesem Stadium nicht allein, hatte Davin ihr gesagt. Keinen Augenblick lang. Nicht einmal, um zu essen? hatte sie
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