Herrin der Falken
als Rory sich vorbeugte. Sie sah das Messer in seiner Hand blitzen.
Romilly handelte, ohne nachzudenken. Sie stieß das Bein mit dem Stiefel heftig nach oben, so daß Rorys Knie gegen sein Kinn krachte. Die Bank kippte um und nahm Rory mit. Romilly sprang auf und rannte zur Tür. Im Vorbeilaufen schnappte sie sich ihren Mantel. Mit hämmerndem Herzen griff sie nach der Klinke. Rory fluchte und brüllte hinter ihr. Ein rascher Blick zurück zeigte ihr, daß sein Mund blutete. Der Aufprall hatte ihm entweder einen Zahn ausgeschlagen oder die Lippe aufgerissen. Schon war Romilly draußen und versuchte, die Tür mit der Schulter zuzuwerfen. Aber Rory zwängte sich hindurch, und dann war er über ihr. Sie sah das Messer nicht. Vielleicht war es ihm entfallen, vielleicht gedachte er nur seine riesigen Hände zu benutzen. Er packte sie, und ihre Jacke riß von oben bis unten auf. Seine Hände schlossen sich um ihre Kehle. Dann wurden seine Augen groß. Er sah den Riß und zerfetzte die Jacke ganz.
»Bei der Last! Titten wie eine Kuh! Ein Mädchen, he?« Er faßte Romillys Hand, die nach seinen Augen fuhr, und hielt sie unbeweglich fest. Dann drehte er sie um und schob sie in die kleine Küche zurück.
»Sieh mal, Oma, was ich gefunden habe! Eine sündhafte Verschwendung wäre es, sie zu verletzen! Suche ich nicht seit vier Jahren eine Frau, ohne eine Kupfermünze für den Brautpreis zu haben? Und nun schneit mir eine in die Tür!« Er lachte triumphierend. »Hab keine Angst, Mädchen, jetzt würde ich dir kein Haar mehr auf deinem Köpfchen krümmen! Ich habe etwas Besseres zu tun, wie, Oma? Und sie kann bei dir bleiben und für dich sorgen, wenn ich draußen auf dem Feld oder zur Mühle oder in der Stadt bin!« Lachend quetschte der große Mann sie an sich und schmatzte ihr einen Kuß auf den Mund. »Aus dem Dienst in einem adligen Haus weggelaufen, ja? Nun, Hübsche, hier wirst du deine eigene Küche und dein eigenes Herdfeuer haben, was sagst du dazu?«
Entsetzt, gelähmt von seinem Wortschwall, schwieg Romilly.
Aber ihr Verstand arbeitete schneller als je zuvor in ihrem Leben.
Er begehrte sie. Er würde sie nicht verletzen, wenigstens eine Weile nicht, solange er noch hoffte, sie zu besitzen. Ihr ekelte vor seinem Kuß, aber sie verbarg die aufsteigende Übelkeit und zwang sich, ihn anzulächeln.
»Wenigstens bist du nicht schlimmer als der Mann, mit dem sie mich verheiraten wollten.« Während sie sprach, merkte sie, daß es die absolute Wahrheit war. »Alt war er, mehr als doppelt so alt wie ich, und immer befummelte er hilflose Mädchen, während du doch jung und sauber bist.«
Selbstgefällig erwiderte er: »Ich glaube, wir werden gut miteinander auskommen, wenn wir uns erst einmal aneinander gewöhnt haben. Wir brauchen nur Bett, Tisch und Herd zu teilen und sind so gesetzlich verheiratet, als hätte Lord Storn persönlich uns wie Adligen die catenas um die Arme gelegt. Ich werde Feuer im Hinterzimmer anmachen, wo ein Bett steht, und du kannst derweil unsere erste gemeinsame Mahlzeit kochen. Da ist Mehl in den Säcken. Bäckst du uns auch ein Brot mit Schwarzfrüchten? Ich mag gutes, fruchtiges Brot gern, und seit vierzig Tagen und mehr habe ich nichts als Nußbrei bekommen!«
»Ich werde versuchen, mein Bestes zu tun.« Romilly gelang es, ruhig zu sprechen. »Und wenn ich mir nicht sicher bin, was ich tun soll, wird es mir mestra Mhari sicher sagen.«
»Ah, du hältst dich für etwas Besseres als meine alte Oma, was?« fragte Rory bösartig. »Du wirst sie mit Dame Mhari anreden, bis sie dir erlaubt, Oma zu sagen, hörst du?«
Schlagartig wurde Romilly klar, daß sie die alte Frau unbewußt in der Form angeredet hatte, die eine Adlige gegenüber einer unter ihr stehenden Person benutzt. Sie ließ den Kopf hängen, als schäme sie sich, und flüsterte: »Ich habe es nicht böse gemeint.«
»Und da du ein Mädchen bist, schickt es sich eher für dich als für mich, Oma das Gesicht zu waschen, ihr ein sauberes Nachthemd anzuziehen und sie für den Tag fertigzumachen«, sagte Rory.
»Meinst du, du könntest heute ein bißchen am Feuer sitzen, Oma? Wenn unsere feine Dame hier dich frischmacht?«
»Aye, ich werde mich zu eurem Hochzeitsmahl ans Feuer setzen, Rory«, antwortete die alte Frau. Romilly biß sich auf die Lippe und erklärte demütig, sie werde gern alles für Dame Mhari tun.
»Ich habe gleich gesehen, daß ihre Hände zu fein für einen Jungen sind«, stellte Mhari fest, als Romilly
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