Herrin der Falken
was der Junge sagt, Männer! Er sieht die Dinge richtig. Das gleiche habe ich früher einmal von meinem eigenen Falkenmeister gehört. Und wir bringen doch alle«, er klopfte der herrlichen Rappstute, die er ritt, den Hals, »unseren Reittieren, Pferd oder Chervine, die uns treu tragen, Liebe und Respekt entgegen.«
»Na dann –«, Orain sah, wieder mit diesem lustigen Verziehen der Lippen, auf den großen, massigen Körper des Kundschaftervogels nieder, »– könnten wir die hier die Schöne, die da die Liebliche und die da drüben die Reizende nennen. Ich zweifele nicht daran, daß sie sich gegenseitig schön finden – meine alte Mutter hat immer gesagt: ›Schön ist, wer schön handelt‹“
Romilly kicherte. »Ich finde, das wäre übertrieben. Sie mögen nicht schön sein, aber – laßt mich nachdenken.« Einen Augenblick später fuhr sie fort: »Ich werde sie nach den Tugenden nennen. Diese hier-«, sie hob den schweren Vogel auf Orains Sattelblock an, »– soll Prudentia heißen. Diese –«, stirnrunzelnd betrachtete sie die schmutzige Sitzstange, setzte den verkappten Vogel auf Orains behandschuhte Faust, zog ihr Messer und machte sich daran, eine ekelhafte Kruste aus Schmutz und Kot abzukratzen, »– ist Temperentia, und die –«, sie wandte sich dem dritten Vogel zu, »– Diligentia.“
»Wie sollen wir sie auseinanderhalten?« fragte einer der Männer, und Romilly antwortete ernsthaft: »Aber sie sehen sich doch gar nicht ähnlich! Diligentia ist die große mit den blauen Flügelspitzen – seht Ihr? Und Temperentia – Ihr könnt es jetzt nicht sehen, weil sie verkappt ist, aber sie hat den großen Schopf mit den weißen Tupfen. Und Prudentia ist die kleine mit der zusätzlichen Zehe am Fuß – hier!« Sie erklärte die Merkmale eins nach dem anderen, und Orain starrte sie verblüfft an.
»Also unterscheiden sie sich voneinander. Es ist mir nie eingefallen, darauf zu achten.«
Romilly stieg in den Sattel. »Das erste, was Ihr über Vögel zu lernen habt, ist, daß Ihr jeden einzelnen als Individuum behandeln müßt. Auch in ihrem Benehmen und ihren Gewohnheiten sind sie sich nicht ähnlicher als Ihr und Dom Carlo.« Sie drehte sich im Sattel nach dem Rothaarigen um. »Verzeiht mir, Sir, vielleicht hätte ich Euch fragen sollen, bevor ich Euren Vögeln Namen gab.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht daran gedacht. Und es sind gute Namen. Bist du ein Cristofero, mein Junge?«
Sie nickte. »Ich bin so erzogen worden. Und Ihr, Sir?«
»Ich diene dem Herrn des Lichts«, erklärte er kurz. Romilly sagte nichts darauf. Es verwunderte sie ein bißchen, die Hali’imyn kamen nicht allzu oft in diese Berge. Aber natürlich, wenn es Carolins Männer im Exil waren, dienten sie den Göttern der Hastur-Sippe. Und wenn Carolins Armee sich bei Nevarsin zusammenzog – Erregung packte sie. Sicher war das der Grund, warum Alderic sich in den Bergen aufhielt! Er wollte sich dem König anschließen, wenn die Zeit reif war. Wieder stellte sie Vermutungen über Alderics Identität an. Wenn diese Leute Carolins Männer waren, kannten sie ihn vielleicht und waren seine Freunde. Doch das ging sie nichts an, und das Dümmste, was sie machen konnte, war, sich in die Sache irgendeines Mannes verwickeln zu lassen. Ihr Vater hatte es gesagt, und es stimmte. Was kam es darauf an, welcher Schurke auf dem Thron saß, solange er anständige Menschen in Ruhe ließ?
Sie ritt in der Reihe der Männer dahin und hielt sich ziemlich nervös dicht bei Orain und Dom Carlo. Es gefiel ihr gar nicht, wie dieser Alaric sie anstarrte. Bestimmt gelüstete es ihn wie den schurkischen Rory nach ihrem Pferd. Wenigstens wußte er nicht, daß sie ein Mädchen war, und so gelüstete es ihn nicht auch nach ihrem Körper. Ihr Pferd konnte sie verteidigen, solange sie Dom Carlos Schutz hatte.
Übrigens hatte sie auch gar keine schlechte Arbeit bei der Verteidigung ihres Körpers geleistet.
Sie ritten den ganzen Tag. Zu Mittag hielten sie an und bereiteten einen Brei zu, indem sie feingemahlenes Mehl in kaltes Wasser einrührten. Zusammen mit einer Handvoll Nüssen gab es eine herzhafte Mahlzeit. Danach ruhten die Männer sich eine Weile aus. Romilly jedoch schnitzte mit ihrem Messer ordentliche Sitzstangen zurecht, denn sie hatte bemerkt, daß die Kundschaftervögel Not hatten, sich auf den schlecht ausbalancierten Sattelblocks zu halten. Auch überprüfte sie die Fesseln und stellte fest, daß einer der Vögel von zu engen
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