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Herrin der Falken

Titel: Herrin der Falken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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Deshalb würde er, selbst wenn er sie dafür schlagen sollte, eines Tages erkennen, daß ihre Tat sowohl richtig als auch notwendig gewesen war. 
    Romilly trank noch einen Schluck Wasser. Sie konnte den Hunger ertragen, wenn es sein mußte, die eigentliche Folter war der Durst. Davin hielt bei der Arbeit mit einem Falken für gewöhnlich einen Wassereimer in Reichweite. Romilly hatte vergessen, Eimer und Schöpfkelle bereitzuhalten. Leise schlüpfte sie aus dem Zimmer. Mit etwas Glück würde der Falke vor Sonnenaufgang »brechen« – würde vom Handschuh kröpfen und dann schlafen. Diese Unterbrechung mochte Ursache sein, daß sie den Falken verloren – wenn er nicht bald kröpfte, mußte er sterben –, aber sie, der er das Verbleiben in der Gefangenschaft verdankte, war es dann nicht, die ihm die Treue gebrochen und ihn dem Tod überlassen hatte. Romilly war bereits vor der Tür, als sie noch einmal umkehrte und Stahl und Feuerstein holte. Sicher hatte ihr Vater oder der Junge des Falkenmeisters die Laterne gelöscht, und sie würde sie wieder anzünden müssen. Im Nebenzimmer hinter den Glastüren regte Gwennis sich und gähnte. Romilly erstarrte. Aber die Kinderfrau beugte sich nur zu Mallina nieder, fühlte ihre Stirn und prüfte, ob das Fieber nachgelassen habe. Seufzend setzte sie sich wieder in ihrem Sessel zurecht, ohne einen Blick in Romillys Richtung zu werfen. Auf lautlosen Sohlen kroch Romilly die Treppe hinunter. Sogar die Hunde schliefen. Zwei der großen graubraunen Wachhunde lagen quer vor der Tür. Sie waren nicht bissig und würden nicht einmal einen Eindringling beißen oder angreifen, falls er sie nicht bedrohte. Aber einen Lärm konnten sie veranstalten! Ihr freundliches, lautes Bellen diente dem Zweck, den Haushalt aufmerksam zu machen, daß jemand kam, ob Eindringling oder Freund. Romilly kannte jedoch beide Hunde, seit sie geworfen worden waren. Sie hatte ihnen die ersten festen Bissen gegeben, als sie nicht mehr bei der Mutter saugten. Nun schob sie sie ein bißchen von der Tür weg. Die Hunde, die eine vertraute und geliebte Hand fühlten, schnauften nur ein bißchen im Schlaf und ließen sie vorbei. Das Licht im Falkenhaus war tatsächlich gelöscht worden. Als Romilly über die Schwelle trat, fiel ihr eine alte Ballade ein, die sie als Kind von ihrer eigenen Mutter gehört hatte. Es hieß darin, des Nachts, wenn kein menschliches Wesen in der Nähe sei, sprächen die Vögel miteinander. Unwillkürlich ging Romilly auf Zehenspitzen und rechnete beinahe damit, sie zu belauschen. Aber die zahmen Vögel im Falkenhaus waren nichts als Federkugeln auf den Blöcken und schliefen fest, und sie nahm nur eine verworrene Stille wahr. Ob sie unter sich telepathisch sind, ob sie die Furcht oder den Schmerz eines anderen Vogels empfangen? fragte sie sich. Nicht einmal die Leronis hatte ihr das sagen können. Jetzt vermutete sie, daß die meisten, wenn nicht alle dieser Vögel kopfblind waren, ohne telepathischen Sinn oder Laran. Andernfalls würden sie erwachen und unruhig werden. Denn Romilly selbst empfing immer noch die Wellen von Angst und Wut, von Hunger und Raserei, die von dem großen Verrin-Falken ausgingen.
    Romilly zündete mit bebenden Händen die Lampe an. Vater hatte also nie geglaubt, der Falke werde die Atzung vom Block nehmen; er wußte ja, daß kein Falke im Dunkeln kröpft. Wie hatte er das tun können? Auch wenn er auf sie, Romilly, böse war, brauchte er den Falken doch nicht um seine letzte Lebenschance zu bringen!
    Nun mußte sie wieder ganz von vorn anfangen. Sie sah das tote Fleisch auf dem Block liegen, unangerührt, ohne eine Schnabelspur. Der Falke hatte nicht gekröpft. Das Fleisch begann, ranzig zu riechen. Romilly hob es hoch und mußte ihren eigenen Ekel überwinden – puh, wenn ich ein Falke wäre,
    würde ich dies Aas auch nicht anrühren. Der Falke schlug wieder mit den Flügeln. Romilly trat näher, besänftigende Worte murmelnd. Und nach kurzer Zeit wurden die peitschenden Flügel ruhig. Konnte es sein, daß der Falke sich an sie erinnerte? Vielleicht hatte die Unterbrechung ihre Chancen nicht völlig verdorben. Sie ließ die Hand in den Handschuh schlüpfen, schnitt ein frisches Stück Fleisch von dem Kadaver ab und hielt es dem Vogel hin. Aber wieder meinte sie, der Abscheu vor dem Aasgeruch sei stärker als vorher.
    Fühlte sie also, was der Falke fühlte? Eine Sekunde lang begegnete Romillys Blick in einer betäubenden Welle von Übelkeit den

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