Herrin der Stürme
nicht. Warum, glaubst du, haben wir dich unterrichtet und trainiert, wenn nicht, um dich zu stärken? Ich hatte es nicht ganz so früh erwartet, das ist alles. Versuche jetzt, keine Gedanken mehr zu lesen. Dir fehlt die Kraft dazu. Wir werden dir beibringen, es auszuschalten und zu kontrollieren.« Aber Dorilys hörte sie nicht. Sie starrte die Frauen in einem Alptraum aus panischer Angst und wilder Verzweiflung an; ihre Gedanken wurden im ersten, erschreckenden Augenblick der Überlastung auf sie zurückgespiegelt. Sie starrte wie ein gefangenes Tier, den Mund geöffnet, um sich. Ihre Augen waren vor Entsetzen so weit, daß rund um die verengten Pupillen das Weiße zu sehen war.
Margali stand auf, ging zu ihrem Pflegekind und versuchte, es in eine besänftigende Umarmung zu ziehen. Dorilys stand ganz starr und unbeweglich. Sie spürte die Berührung nicht, außer einem massiven Ansturm innerer Empfindungen konnte sie nichts wahrnehmen. Als Margali sie umarmen wollte, schlug Dorilys ohne es zu wissen zu und traf sie mit einem solch schmerzhaften Schlag, daß die alte Frau gegen die Wand geschleudert wurde. Elisa eilte Margali zu Hilfe und richtete sie auf. Die Frau blickte erschreckt und verwirrt.
Sich so gegen mich zu wenden … gegen mich?
Renata sagte: »Sie weiß nicht, was sie tut, Margali. Sie weiß gar nichts. Ich kann sie halten.« Sie versuchte, das bewegungslose Mädchen so zu packen wie damals, als Dorilys sich ihr zum ersten Mal widersetzt hatte. »Aber es ist sehr schwer. Sie braucht etwas Kirian.«
Margali ging die Droge holen und Elisa bat auf Renatas Bitte hin die anderen Gäste, zu gehen. Zuviel Gedanken in der Nähe würden Dorilys noch mehr ängstigen und verwirren. In ihrer Nähe sollten nur diejenigen sein, denen sie traute. Als Margali mit dem Kirian zurückkam, blieben nur Renata, Cassandra und Margali selbst zurück.
Renata versuchte, mit dem entsetzten Mädchen, das jetzt hinter einer Barriere aus Angst isoliert war, Kontakt aufzunehmen. Nach einiger Zeit begann Dorilys leichter zu atmen, und ihre Augen lösten sich aus der starrenden Stellung, die die Pupillen hatten unsichtbar werden lassen. Als Margali die Ampulle an ihre Lippen hielt, trank sie widerspruchslos. Sie legten Dorilys auf ein Sofa und zogen eine Decke über sie. Als Renata sich neben das Mädchen kniete, um es zu untersuchen, schrie Dorilys erneut in panischer Angst und plötzlichem Entsetzen auf.
»Nein, nein, rühr mich nicht an, tu’s nicht!« Plötzlich krachte der Donner um die Höhen von Aldaran – ein rasselndes Rollen.
»Chiya. Ich werde dir nicht weh tun, wirklich. Ich will nur sehen …« »Rühr mich nicht an, Renata!« kreischte Dorilys. »Du willst, daß ich sterbe, damit du Donal haben kannst!«
Erschreckt fuhr Renata zurück. Solch ein Gedanke war ihr nie in den Sinn gekommen. Oder war Dorilys auf eine Ebene gestoßen, die ihr selbst nicht bewußt war? Entschlossen die Schuldgefühle verbannend, streckte Renata die Arme nach dem Mädchen aus.
»Nein, Liebes, nein. Schau – du kannst, wenn du willst, meine Gedanken lesen und selbst sehen, welcher Unsinn das ist. Ich will nur, daß es dir wieder besser geht.«
Dorilys Zähne schlugen klappernd gegeneinander, und sie wußte, daß sie sich in einem Zustand befand, der sie der Vernunft nicht zugänglich machte. Cassandra trat heran und nahm Renatas Platz ein. Wegen ihres steifen Beines konnte sie nicht knien, daher setzte sie sich auf den Rand des Sofas.
»Renata würde dir niemals weh tun, Chiya, aber wir wollen auch nicht, daß du dich zu sehr erregst. Ich bin auch Überwacherin. Ich werde dich überwachen. Du hast doch keine Angst vor mir, oder?« Zu Renata meinte sie: »Wenn sie erst ruhiger ist, wird sie erfahren, was wahr ist.«
Renata entfernte sich. Sie war von Dorilys’ plötzlichem Angriff noch immer so erschreckt, daß sie kaum einen vernünftigen Gedanken fassen konnte. Hat sie den Verstand verloren? Ist Schwellenkrankheit auch ein Vorzeichen für den Wahnsinn? Sie war darauf vorbereitet gewesen, daß Dorilys die normale Eifersucht einer Schwester zeigte, weil Donal nicht mehr gänzlich für sie da war. Aber einen solchen Gefühlsausbruch hatte sie nicht erwartet.
Fluch über den alten Mann, wenn er sie darin bekräftigt hat, daß es etwas anderes als eine gesetzliche Fiktion ist! Renata hatte gehofft, Donal schon bald enthüllen zu können, daß sie seinen Sohn trug, denn jetzt war sie sich sicher; sie hatte den Ungeborenen zellentief untersucht,
Weitere Kostenlose Bücher