Herrin der Stürme
um sich zu vergewissern, daß er keine tödlichen Gene trug. Jetzt wurde ihr bewußt, daß es noch länger ein Geheimnis bleiben mußte. Wenn Dorilys krank war, würde das sie noch schlimmer treffen. Cassandra wickelte den Prozeß des Überwachens ab. Als die Wirkung des Kirian einsetzte und Dorilys’ Abwehr gegen die neue Wahrnehmung, die sie so sehr erschreckt hatte, verringerte, beruhigte sie sich, ihr Atem ging regelmäßiger.
»Es hat aufgehört«, sagte sie schließlich. Ihr Gesicht war ruhig, ihr Herz raste nicht länger in panischer Angst. Nur die Erinnerung daran war geblieben. »Wird es … wird es wieder anfangen?«
»Wahrscheinlich«, sagte Cassandra, beruhigte aber Dorilys sofort: »Es wird weniger qualvoll, wenn du dich daran gewöhnst. Jedesmal wird es leichter sein, und wenn du ganz ausgereift bist, kannst du es wie deine Augen benutzen, kannst nah und fern das sehen, was du auswählst, und alles abschalten, was du nicht sehen willst.«
»Ich habe Angst«, wisperte Dorilys, »laßt mich nicht allein.« »Nein, mein Lämmchen«, sagte Margali, »ich werde, solange du mich brauchst, in deinem Zimmer schlafen.«
Renata sagte: »Ich weiß, Margali ist zu dir wie eine Mutter gewesen, und du willst sie bei dir haben. Aber wirklich, Dorilys, dafür bin ich besser ausgebildet. Ich könnte dir besser helfen, wenn es in den nächsten Nächten nötig sein sollte.«
Dorilys streckte die Arme aus, und Renata ließ sich umarmen. Das Mädchen barg sein Gesicht an ihrer Schulter. »Es tut mir leid, Renata. Ich habe es nicht so gemeint. Vergib mir, Cousine … du weißt, daß ich dich liebhabe. Bitte, bleib bei mir.«
»Natürlich, Liebes«, sagte Renata und hielt Dorilys in tröstender Umarmung. »Ich weiß, ich weiß. Ich habe auch die Schwellenkrankheit gehabt. Du warst geängstigt, und alle möglichen wilden Einfälle fluteten auf einmal durch deinen Geist. Es ist schwer zu kontrollieren, wenn es einen so plötzlich überfällt. Von nun an müssen wir jeden Tag ein bißchen mit der Matrix arbeiten, damit du es zu kontrollieren lernst. Wenn es dich erneut überfällt, mußt du vorbereitet sein.«
Ich wünschte, wir hätten sie im Turm gehabt. Dort würde nicht nur sie, sondern auch wir alle sicherer sein, dachte sie. Sie fühlte Cassandra ihren Wunsch wiederholen, als der Donner wieder rollte und knisterte.
Allart hörte in der großen Halle den Donner, ebenso wie Donal, der bei jedem Gewitter sofort, ganz gleich wie oder wo, an Dorilys dachte. Und Dom Mikhail folgte seinen Gedanken offensichtlich ebenfalls. »Jetzt, da deine Braut eine Frau geworden ist, kannst du dich daran machen, mit ihr einen Erben zu zeugen. Wenn wir wissen, daß es einen Sohn mit Aldaran-Blut gibt, werden wir bereit sein, Scathfell zu trotzen, wenn er anrückt – und der Frühling ist nicht mehr weit«, sagte Aldaran mit einem wilden Lächeln. Donals Gesicht zeigte deutliche Ablehnung. Dom Mikhail blickte ihn finster an.
»Zandrus Hölle, Junge! Ich erwarte doch nicht, daß ein so junges Kind dich als Geliebte zu sehr anzieht! Aber wenn du deine Pflicht dem Clan gegenüber getan hast, kannst du so viele Frauen haben, wie du willst. Niemand wird dir das verweigern! Jetzt ist die wichtigste Sache, dem Reich einen legitimen Catenas-Erben zu geben, gezeugt in gesetzlicher Ehe!«
Donal machte eine ablehnende Handbewegung. Sind alle alten Leute so zynisch? Im gleichen Moment fühlte er die Gedanken seines Pflegevaters die seinen in einer Art bekümmerter Zuneigung kreuzen. Sind alle jungen Leute so närrisch und idealistisch?
Mikhail von Aldaran drückte die Hand seines Pflegesohnes. »Mein lieber Junge, du solltest die Sache auf folgende Weise sehen: Im nächsten Jahr zu dieser Zeit wird Aldaran einen Erben haben, und du wirst der gesetzmäßige Regent sein«, sagte er.
Als er sprach, mußte Allart ein lautes Keuchen unterdrücken. Sein Laran zeigte ihm in diesem Moment eine Szene, die so deutlich war, als spiele sie sich tatsächlich vor seinen Augen ab: Dom Mikhail, älter aussehend, gebeugt, und gealtert, hielt ein in Decken gehülltes, gerade geborenes Kind hoch. Er sah nur das kleine rote Oval des Säuglingsgesichts in den Falten des flauschigen Tuches. Aldaran erklärte das Kind zu seinem Erben. Die Begeisterungsrufe waren so laut, daß Allart kaum glauben konnte, daß die anderen sie nicht auch wahrnahmen … Dann waren die Bilder wieder fort, vorüber. Er fühlte sich tief erschüttert. Würde Donal mit seiner kleinen Schwester
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