Herrin der Stürme
ehe ich dich in Laran unterrichte«, antwortete Renata.
»Was hast du im Turm getan?«
»Viele Dinge«, erwiderte Renata. »Metalle an die Erdoberfläche gebracht, damit die Schmiede mit ihnen arbeiten konnten. Batterien für Lampen und Luftwagen aufgeladen; in den Verstärkern gearbeitet, um ohne Stimme mit den Bewohnern anderer Türme zu sprechen – damit das, was in einem Reich geschah, allen bekannt wurde, viel schneller, als ein Bote reiten kann …«
Dorilys lauschte und ließ schließlich einen langen, faszinierten Seufzer vernehmen. »Und wirst du mich lehren, diese Dinge zu tun?« »Vielleicht nicht alle, aber du wirst jene Dinge lernen, die du als Fürstin eines großen Reiches wissen mußt. Und darüber hinaus solche, die alle Frauen wissen sollten, wenn sie ihr Leben und ihren Körper unter Kontrolle haben wollen.«
»Wirst du mir beibringen, Gedanken zu lesen? Donal, Vater und Margali können Gedanken lesen, und ich kann es nicht, und sie können sich unterhalten, und ich kann es nicht hören, und das macht mich zornig, weil ich weiß, daß sie über mich sprechen.«
»Das kann ich dir nicht beibringen, aber wenn du die Begabung hast, kann ich dir beibringen, sie zu nutzen. Du bist noch zu jung, daß man wissen kann, ob du sie hast oder nicht.«
»Werde ich eine Matrix bekommen?«
»Wenn du lernen kannst, sie zu benutzen«, sagte Renata. Sie fand es merkwürdig, daß Margali das Kind noch nicht geprüft und gelehrt hatte, sich auf eine Matrix einzustimmen. Nun, Margali war alt an Jahren. Vielleicht fürchtete sie das, was ihr Zögling — dickköpfig und reifer Urteilsfähigkeit ermangelnd – mit der enormen Kraft der Matrix anstellen würde. »Weißt du, welcher Art dein Laran ist, Dorilys?« Das Kind senkte den Blick »Ein wenig. Du weißt, was bei meiner Verlobung geschah …«
»Nur, daß dein dir versprochener Ehemann plötzlich starb.«
Plötzlich fing Dorilys zu weinen an. »Er ist gestorben – und alle sagten, ich hätte ihn umgebracht, aber das habe ich nicht, Cousine. Ich wollte ihn nicht umbringen – ich wollte ihn nur dazu bringen, die Hände von mir zu nehmen.«
Der Anblick des schluchzenden Kindes erzeugte in Renata den spontanen Impuls, die Arme um Dorilys zu legen und sie zu besänftigen. Natürlich hat sie ihn nicht umbringen wollen! Wie grausam, ein so junges Mädchen Blutschuld ertragen zu lassen! Aber in dem Augenblick, in dem sie sich bewegen wollte, hielt ein intuitiver Gedankenblitz sie zurück.
Wie jung sie auch war, Dorilys besaß ein Laran, das töten konnte. Dieses Laran, in der Hand eines Kindes, das zu jung war, ein vernünftiges Urteil darüber zu fällen … allein der Gedanke daran ließ Renata schaudern. Wenn Dorilys alt genug war, dieses schreckliche Laran zu besitzen, dann war sie auch alt genug — sie mußte einfach alt genug sein –, Kontrolle und angemessene Anwendung zu erlernen. Die Kontrolle des Laran war nicht leicht. Niemand wußte besser als Renata, wie schwierig die harte Arbeit und Selbstbeherrschung, die schon im frühesten Stadium erforderlich waren, sein konnte. Wie sollte ein verzogenes und verwöhntes kleines Mädchen, dessen Wort für ihre Kameraden und die sie anbetende Familie immer Gesetz gewesen war, die Disziplin und innere Motivation finden, diesen schwierigen Pfad zu verfolgen? Vielleicht würde sich auf lange Sicht der Tod, den sie verursacht hatte, im Zusammenhang mit ihren Schuldgefühlen als Glück erweisen. Renata setzte bei ihrem Unterricht nicht gerne Angst ein, aber im Moment wußte sie noch nicht genug über Dorilys, um nicht jeden kleinsten Vorteil in Anspruch zu nehmen, den sie bei der Ausbildung des Mädchens haben konnte.
Also berührte sie Dorilys nicht, sondern ließ sie weinen und betrachtete sie mit einer abgelösten Zärtlichkeit, auf die ihr ruhiges Gesicht und ihr Verhalten nicht den mindesten Hinweis gaben. Schließlich sagte sie – und sprach dabei die erste Lektion aus, die man ihr am Anfang des Unterrichts im Hali-Turm gegeben hatte: »Laran ist eine entsetzliche Gabe und eine entsetzliche Verantwortung. Es ist nicht leicht zu beherrschen. Es liegt an dir, ob du es kontrollieren willst, oder ob es dich kontrolliert. Wenn du bereit bist, hart zu arbeiten, wird der Tag kommen, an dem du die Anweisungen gibst – und nicht deine Kraft. Darum bin ich hier, um dich zu unterrichten, daß solche Dinge nicht wieder passieren.«
»Du bist hier in Aldaran mehr als willkommen«, sagte Lord Aldaran, während er sich in seinem
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