Herrin der Stürme
vorzustellen: Dorilys von Rockraven.« Dorilys senkte scheu die Augen, als sie einen Knicks machte. »S’dia shaya, Domna«, sagte sie schüchtern.
Dann stellte Lord Aldaran Margali vor. »Das ist die Leronis, die sich seit ihrer Geburt um sie kümmert.«
Renata blickte die alte Frau forschend an. Trotz der blassen, zerbrechlichen Gesichtszüge, des ergrauten Haars und der Altersfurchen ihres Gesichts trug sie noch immer den undefinierbaren Stempel der Kraft.
Renata dachte: Wenn sie seit ihrer Geburt in der Obhut einer Leronis war, und Aldaran fühlt, daß sie stärkere Fürsorge und Kontrolle braucht – was, im Namen aller Götter, befürchtet er für dieses kleine Mädchen?
Donal stellte Allart seinem Pflegevater vor. Allart, der sich vor dem alten Mann verbeugte, hob die Augen, um in das Falkengesicht von Dom Mikhail zu blicken und wußte sofort, daß er es in Träumen der Vorausschau vorher gesehen hatte. Er spürte ein Gefühl aus Zuneigung und Angst. Irgendwie war dieser Bergfürst der Schlüssel zu seinem Schicksal – aber er konnte nur einen Gewölberaum sehen, weißen Stein wie in einer Kapelle, flackernde Flammen, und Verzweiflung. Er versuchte die unwillkommenen, verwirrenden Bilder niederzukämpfen, bis er eine verstandesmäßige Entscheidung zwischen ihnen treffen konnte.
Mein Laran ist ohne Nutzen, dachte er, außer, daß es mich ängstigt! Als sie durch das Schloß zu ihren Zimmern geführt wurden, sah sich Allart erregt nach dem Gewölbe aus seiner Vision um, nach dem Ort der Flammen und der Tragödie. Aber er sah ihn nicht und fragte sich, ob er überhaupt irgendwo auf Burg Aldaran war. Er konnte in der Tat überall sein – oder, dachte er bitter, nirgendwo.
15
Renata wachte auf, als sie die Anwesenheit eines Fremden spürte. Dann sah sie Dorilys’ hübsches, kindliches Gesicht hinter einen Vorhang hervorspähen.
»Es tut mir leid«, sagte Dorilys. »Habe ich Euch aufgeweckt, Domna?« »Ich glaube schon.« Renata blinzelte, erinnerte sich verschwommen an Bruchteile eines schwindenden Traumes, an Feuer, die Schwingen eines Gleiters, Donals Gesicht. »Nein, es macht nichts, Kind. Lucetta hätte mich ohnehin bald geweckt, damit ich zum Essen nach unten gehe.« Dorilys kam hinter dem Vorhang hervor und setzte sich auf den Bettrand. »War die Reise sehr ermüdend, Domna? Ich hoffe, Ihr werdet Euch von der Anstrengung bald erholen.«
Über die Mischung aus Kindlichkeit und erwachsener Höflichkeit mußte Renata lächeln. »Du sprichst sehr gut Casta, Kind. Wird es hier viel gesprochen?«
»Nein«, antwortete Dorilys, »aber Margalis wurde in Thendara ausgebildet und sagt, ich solle lernen, es gut zu sprechen, damit es niemanden gibt, der mich eine Wilde aus den Bergen nennt, wenn ich einmal dorthin komme.«
»Dann hat Margali gute Arbeit geleistet. Deine Aussprache ist sehr gut.«
»Ihr wurdet auch in einem Turm ausgebildet, Vai Leronis?«
»Ja. Aber es ist nicht nötig, daß du so förmlich bist«, sagte Renata, die sich spontan für das Mädchen erwärmte. »Nenn mich Cousine oder Verwandte, ganz wie du willst.«
»Für eine Leronis siehst du sehr jung aus, Cousine«, sagte Dorilys, die das persönlichere der beiden Worte wählte.
Renata erwiderte: »Ich habe ungefähr in deinem Alter angefangen.« Dann zögerte sie, denn für die vierzehn oder fünfzehn Jahre, nach denen sie aussah, wirkte Dorilys sehr kindlich. Wenn sie sie als Tochter eines Adeligen erziehen sollte, mußte sie dem ein schnelles Ende setzen, daß ein so großes Mädchen mit wehendem Haar über den Hof tobte und wie ein Kleinkind umherrannte und schrie. Sie fragte sich, ob Dorilys vielleicht geistig etwas zurückgeblieben war. »Wie alt bist du … fünfzehn?«
Dorilys lächelte und schüttelte den Kopf. »Jeder sagt, daß ich so aussehe, und Margali langweilt mich Tag und Nacht damit, mir zu sagen, daß ich zu alt und zu groß bin, dies oder jenes zu tun. Ich bin erst elf Jahre alt. In der Zeit der Sommerernte werde ich zwölf.«
Renata revidierte sofort ihre Einschätzung. Sie war also nicht die kindliche und schlechterzogene junge Frau, nach der sie aussah, sondern ein ausgesprochen frühreifes Mädchen. Vielleicht war es ihr Unglück, daß sie älter aussah, denn jeder erwartete von Dorilys Erfahrung und Urteilskraft, die sie in diesem Alter schwerlich besitzen konnte. Dorilys fragte: »Bist du gern eine Leronis geworden? Was ist eine Überwacherin?«
»Das wirst du herausfinden, wenn ich dich überwache. Das muß ich tun,
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