Herrin der Stürme
hatte die Kapuze seines Reitmantels zurückgeworfen und achtete nicht auf den Hagel, der sein von Wind und Kälte gerötetes Gesicht traf. Am Fuß des langen Hanges, der zur Burg hinauf führte, hielt er an und gab lachend und winkend ein Zeichen. Renatas Amme grollte: »Sollen wir mit normalen Reittieren diesen Ziegenpfad hinaufreiten, oder glaubt man, daß wir Falken sind und fliegen können?« Selbst Renata wirkte angesichts des letzten steilen Pfades ein wenig geängstigt.
»Das ist die Aldaran-Feste? Sie scheint so unzugänglich wie Nevarsin!«
Donal lachte. »Nein, aber in den alten Zeiten, als die Vorfahren meines Pflegevaters sie mit Waffengewalt verteidigen mußten, machte dieser Hang sie unverwundbar – meine Dame«, fügte er mit plötzlichem Selbstbewußtsein an. Während der Dauer der Reise waren sie füreinander Allart, Renata und Donal geworden. Donals plötzliche Rückkehr zu formeller Höflichkeit machte ihnen klar, daß – was immer auch passierte – die Periode der Sorglosigkeit vorüber war, und die Last ihrer voneinander getrennten Schicksale sich wieder auf sie legten.
»Ich vertraue darauf, daß die Soldaten auf den Mauern wissen, daß wir nicht als Angreifer kommen«, meinte der Gardist, der die Waffenstillstandsflagge trug, düster.
Donal lachte und erwiderte: »Nein, ich glaube, für ein Kriegskommando sind wir zu klein. Schaut – dort auf den Zinnen sind mein Pflegevater und meine Schwester. Offenbar wußte er von unserer Ankunft.« Allart sah, wie sich der leere Blick über Donals Gesicht legte – der Blick des Telepathen, der mit anderen außer Hörweite Kontakt aufnahm. Einen Augenblick später lächelte Donal vergnügt und sagte: »Der Pferdepfad ist nicht gar so steil. Auf der anderen Seite der Burg sind Stufen in den Fels geschnitten, zweihundertachtundneunzig insgesamt. Würdet Ihr vielleicht lieber diesen Weg erklimmen? Oder Ihr, Mestra?« fragte er die Amme, die einen Laut des Entsetzens ausstieß. »Kommt, mein Pflegevater erwartet uns.«
Während des langen Ritts hatte Allart die in Nevarsin erlernten Techniken angewandt, um die auf ihn eindringenden Zukunftsmöglichkeiten fernzuhalten. Da er sie nicht beeinflussen konnte, wußte er, daß es eine Form der Schwäche war, wenn er sich mit ihnen abgab. Dieser Schwäche durfte er nicht nachgeben. Er mußte sich mit dem befassen, was kam – und durfte nur dann vorausschauen, wenn sich eine vernünftige Möglichkeit bot, zu entscheiden, welche mögliche Entwicklung durch eine Entscheidung, die tatsächlich seiner Kontrolle unterlag, verstandesmäßig beeinflußt werden konnte. Aber als sie die Spitze des steilen Hanges erreicht hatten, aus Hagel und Wind in einen geschützten Hof gelangten, und Diener sich um sie scharten, um ihnen die Pferde abzunehmen, wußte er, daß er diese Szene schon einmal erlebt hatte. Durch die momentane Orientierungslosigkeit vernahm er den Aufschrei einer schrillen, kindlichen Stimme, und es schien ihm, als sähe er Blitze aufflakkern. Er fuhr zurück, noch bevor er sie tatsächlich hörte. Es entpuppte sich schließlich alles als ganz einfach: keine Gefahr, kein Aufzucken merkwürdiger Blitze, nichts als die Stimme eines fröhlichen Kindes, das Donals Namen rief. Mit fliegenden Zöpfen rannte ein kleines Mädchen aus dem Schutz eines Bogenganges und umschlang ihn mit beiden Armen.
»Ich wußte, daß du es warst – mit den Fremden. Ist das die Frau, die meine Lehrerin sein soll? Wie heißt sie? Magst du sie? Wie ist es in den Tiefländern? Blühen die Blumen dort wirklich das ganze Jahr über? Hast du auf der Reise irgendwelche nichtmenschlichen Wesen gesehen? Hast du mir Geschenke mitgebracht? Was sind das für Leute? Was sind das für Tiere, die sie reiten?«
»Sachte, sachte, Dorilys«, meinte eine tiefe Stimme vorwurfsvoll. »Unsere Gäste werden uns tatsächlich für Bergbarbaren halten, wenn du wie ein schlecht erzogenes Gallimak daherplapperst. Laß deinen Bruder los und begrüße unsere Gäste wie eine Dame!«
Donal ließ zwar zu, daß das Mädchen seine Hand umklammerte, als er sich seinem Pflegevater zuwandte, ließ sie aber los, als Mikhail von Aldaran ihn in eine enge Umarmung zog.
»Junge, ich habe dich sehr vermißt. Willst du uns nicht unsere ehrenwerten Gäste vorstellen?«
»Renata Leynier, Leronis vom Hali-Turm«, sagte Donal. Renata machte einen tiefen Knicks vor Lord Aldaran.
»Verehrte Dame, Ihr erweist uns Gnade. Wir sind hochgeehrt. Erlaubt mir, meine Tochter und Erbin
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