Herrmann, Elisabeth
Linoleum
markiert. Das getrocknete Blut sah aus wie eine schwarze Wolke. Judith ging ins
Wohnzimmer. Die Spurensicherung hatte das Fenster provisorisch mit Folie
abgeklebt. Am Nachmittag würde der Glaser kommen, bis dahin mussten sie mit dem
Schlimmsten fertig sein.
»Meine Fresse.« Kai stellte das Gerät neben dem Sofa ab und sah sich um.
»War das ein Aquarium?«
»Keine Ahnung.«
Judith betrachtete etwas Weißlich-Schleimiges, von dem sich gerade ein
Schwärm Fliegen erhob. Von den Umrissen und dem Geruch her könnte es ein
Buntbarsch gewesen sein. »Tritt nicht drauf, sonst verteilst du das in der
ganzen Wohnung.«
»O Mann. Lag hier noch einer?« Er deutete auf die Striche neben dem Sofa.
»Ist der auch erschossen worden?«
Kai war, anders als sie, vor seiner ersten crime
scene nicht über die Tat an sich instruiert
worden. Er sollte zuarbeiten, mehr nicht. Wenn Judith Anzeichen dafür entdecken
würde, dass er dem allem hier nicht gewachsen war, würde sie ihn sofort nach
Hause schicken.
Im Moment allerdings spazierte er durch das Wohnzimmer, als wäre es eine
absurde Filmszene. Er hatte wie alle anderen die aufgeheizten Spekulationen in
der Boulevardpresse mitverfolgt. Gretchen Lindbergh, eine Ex-CIA-Agentin, von der
sich die Agency umgehend distanziert hatte, war mit einem Komplizen in das Haus
von Merzig eingedrungen und hatte Letzteren kaltblütig hingerichtet.
Anschließend war sie selbst von diesem unbekannten Begleiter erschossen worden.
Die Vermutungen der Nachbarn und der Presse reichten vom großen, schwarzen Mann
bis hin zum russischen Geheimdienst, gerne und immer wieder KGB genannt.
Erpressung, Russen, Kalter Krieg - Lindbergh/Espinoza wurde zu der »Schönen,
die aus der Kälte kam«. Von Merzig nahm man an, dass er sich in ihr
verkalkuliert hatte und über irgendeinen dunklen Fleck in ihrer Vergangenheit
Bescheid wusste. Da diese ebenso schillernd wie geheimnisvoll blieb, würde der
Mord in Biesdorf vermutlich in die Annalen ungelöster Kriminalfälle eingehen und
darauf warten, in vielen Jahren von einem eifrigen Fernsehredakteur mit
Phantasie wieder zum Leben erweckt zu werden.
Es wunderte Judith, dass die Freigabe schon nach zwei Wochen erfolgt war.
Offenbar waren die Untersuchungen beendet. Eine entfernte Verwandte war
ausfindig gemacht worden, die natürlich weder mit dem Haus noch mit den
mysteriösen Vorfällen etwas zu tun haben wollte. Da Dombrowski seine Tippgeber
überall sitzen hatte - auch in der Telefonzentrale der zuständigen Wache -,
landete der Auftrag selbstverständlich bei ihm. Und genauso selbstverständlich
schickte er Judith in dieses Haus, um es von den bösen Geistern zu befreien.
Judith streifte sich die Arbeitshandschuhe über. Zunächst mussten sie die
Glasscherben entsorgen, dann das Sofa notdürftig säubern und sich um die
Fußböden kümmern. Gegen Mittag wollte Merzigs Verwandte kommen. Dombrowski
hatte etwas von einer älteren Dame aus Westdeutschland erzählt.
»Bring die Scherben raus«, sagte sie zu Kai, ohne auf seine Frage
einzugehen. Mit einem Handbesen begann sie, das Sofa von Glassplittern zu
befreien. Zwischendurch hielt sie inne und betrachtete den Blutfleck, den
Kaiserley auf dem beigen Cordstoff hinterlassen hatte.
Er hatte sich nicht mehr bei ihr gemeldet. Sie wollte es abtun, wie man
einen unterlassenen Gruß registrierte oder einen nie erfolgten Rückruf. Aber
ganz gelang es ihr nicht. Er hatte sein Rätsel gelöst, sie das ihre. Ihre Wege
hatten sich getrennt. Hätte sie ihn aufhalten sollen?
Die Filme lagen in ihrem Umkleideschrank. Dort würden sie so lange
bleiben, bis sie sicher sein konnte, dass Weckerle Wort hielt. Bis jetzt sah es
so aus, als ob seine Seilschaften halten würden. Aber Judith hatte in der
letzten Zeit eine Menge über das Versprechen und das Brechen desselben gelernt.
Bis zum Mittag hatten sie die Reste des Aquariums und der Fensterscheibe
in den Müllcontainer gebracht. Kai wunderte sich über die Krümel, die überall
auf dem Linoleum im Schlafzimmer verstreut lagen. Judith unterließ es in ihrem
eigenen Interesse, ihn darauf hinzuweisen, wie vertrocknete Hirnmasse aussah.
Sie drückte ihm Kehrschaufel und Besen in die Hand und wies ihn an, einfach
alles zu beseitigen, was im Entferntesten nach Dreck, Krümeln, Blut und
Kreidestrichen aussah.
Dann stieg sie hoch in den ersten Stock. Es gab nur zwei ausgebaute
Räume, auch diese waren niedrig und wirkten durch die tief gezogenen
Dachschrägen noch
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