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Herrmann, Elisabeth

Herrmann, Elisabeth

Titel: Herrmann, Elisabeth Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zeugin der Toten
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gehabt«, sagte er und hatte wohl das Gleiche
gedacht.
    »Drei, wenn ich dich erinnern darf. Von drei verschiedenen Frauen.«
    Er nickte und versuchte ein klägliches Grinsen. »Die sind aber nie zu mir
gekommen, wenn sie Ärger hatten. Ich hab gedacht, irgendwann muss ich es doch
mal richtig machen.«
    »Das hast du, Dombrowski, das hast du.«
    »Ist alles in Ordnung?«
    »Jetzt ja.«
    Sie gab der Schublade einen Stoß. Sie glitt zu, die Pistole verschwand.
Sie stand auf und ging zur Tür.
    »Noch mal so eine Nummer, und du kriegst die öffentlichen Toiletten!«
    »Schon klar«, sagte Judith und grinste. Sie wollte gerade die Tür öffnen,
als Dombrowski sie noch einmal rief. »Fang!«
    Sie drehte sich zu spät um. Etwas klatschte an die Wand, fiel auf den
Boden und platzte auf. Ein durchdringender Gestank von Hund, Urin und Schimmel
verbreitete sich.
    »Das lässt du nicht noch mal irgendwo liegen. Josef ist fast in Ohnmacht
gefallen.«
    Judith starrte auf den aufgeplatzten Müllsack und das schwarze,
undefinierbare Lumpenknäuel zu ihren Füßen. Eine Erinnerung blitzte auf, konnte
von ihr aber nicht eingeordnet werden. Diese Filme sind wertvoll. Man
trägt sie bei sich. Man behält sie im Auge. Man versucht, sie erst in letzter
Sekunde verschwinden zu lassen.
    Man wirft sie in seiner Todesangst und Verzweiflung über die
Balkonbrüstung. Sie landen in den Rabatten und werden von Hunden gefunden und
verscharrt und versteckt. Sie bleiben draußen liegen, im Regen, im Sonnenschein,
bei Tag und bei Nacht. Bis sie zu Dreck werden. Zu Müll, den keiner mehr anfassen
will.
    Sie bückte sich und hob das Ding mit spitzen Fingern hoch. »Ist ja eklig.«
    »Du sagst es. Raus damit. Entsorgen. Ist was?«
    Vor Judiths Augen entfaltete sich der Lumpen zu etwas, das eine vage
Ähnlichkeit mit einem Tier hatte. Ein Schwanz, vier Beine, und eine leere
Kapuze dort, wo der Kopf gewesen sein musste: ein Plastikkopf mit Pausbacken,
runden Knopfaugen und einem schwarzen Punkt auf der Nase. Hände und Füße, ehemals
auch aus Weichplastik geformt, waren nur noch zerbissene Reste. Und trotzdem
erkannte sie es wieder. Sie schnappte nach Luft.
    »Das ist...«
    Sie tastete über den Bauch des Wesens. Plötzlich erstarrten ihre Finger.
Sie sah zu Dombrowski. »Teppichmesser?«
    Er riss eine andere Schublade raus, fand das Gesuchte mit einem Griff und
kam zu ihr. Judith legte das Ding auf den Boden. Der Geruch war atemraubend.
Sie nahm das Messer, fuhr die Schneide heraus und öffnete den Bauch des Wesens
mit einem Schnitt. Metall kratzte über Metall. Sie warf das Messer zur Seite
und fuhr mit der Hand in den nassen, uralten Klumpen.
    »Was ist das?«, fragte Dombrowski.
    Judith holte, eine nach der anderen, vier Dosen Florena heraus.
    »Das war mein Monchichi. Mein Lieblingsspielzeug.«
    »Und das da?«
    Sie versuchte, die erste zu öffnen, aber der Verschluss war verkantet oder
eingerostet.
    »Lass mich mal«, sagte Dombrowski. »Was ist da drin? Koks? Heroin?
Rohdiamanten? Waren deshalb alle hinter dir her?«
    Er ächzte, und dann hatte er den Deckel in der einen und die Dose in der
anderen Hand. Erstaunt sah er auf den Inhalt. »Filme?«
    Judith nickte. »Filme«, antwortete sie. »Urlaubserinnerungen an den
Plattensee.«
    Misstrauisch reichte Dombrowski ihr die Dose zurück. Sie stopfte sie mit
den anderen und dem Tier in die Tüte und versenkte alles in ihrer Tasche.
    »Nur Filme?« Dombrowski schien ihr immer noch nicht zu glauben.
    Judith öffnete den Mund, um etwas zu sagen, und schloss ihn wieder. Es war
unmöglich. Man konnte das nicht in einem Satz erklären. Man konnte diese Dosen
nur mit hinaus zu Kaiserley nehmen und sie ihm vor die Füße werfen. Dazu
brauchte es noch nicht einmal Worte. Er war der Einzige, der alles verstehen
würde. Alles. Vom Anfang bis zum Ende.
     
    Kellermann sah auf dem Weg zum Schlafzimmer, dass jemand angerufen hatte.
Er schenkte dem blinkenden Licht keine Beachtung. Er suchte halbblind nach
etwas zum Anziehen, stieg unter die Dusche, trocknete sich ab und schlüpfte in
die saubere, trockene Kleidung. Auf dem Weg zur Tür machte er kehrt und ging
hinaus in den Garten. Er nahm die Rosenschere und schnitt so viele Blüten ab,
bis er einen gewaltigen Strauß zusammenhatte. Rot und weiß. Dann fiel ihm ein,
dass er auf die Intensivstation keine Blumen mitnehmen durfte. Er ließ sie
fallen. Nichts von dem, was er tat, hatte noch einen Sinn.
    Er trat an den Anrufbeantworter und betete, dass es nicht die

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