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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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Das Rasseln verstummte. Er zog eine Packung Aspirin aus derselben Schublade und sagte gereizt: «Jetzt genug. Jetzt hau ab. Hau einfach ab in deine Oase und nimm das da mit.»
    Er drückte zwei Tabletten aus dem Blister. Kopfschmerzen hatte er keine, aber wenn er jetzt keine Medikamente nahm, setzten die Schmerzen in genau einer halben Stunde ein. Jeden Tag um vier. Was die Ursache dieser periodischen Anfälle war, hatte sich bisher nicht klären lassen. Der letzte Arzt hatte die Röntgenbilder gegen das Licht gehalten, von Normvarianten gesprochen und Polidorio zu einem Psychologen geraten. Der Psychologe empfahl Medikamente, und der Apotheker, der von diesen Medikamenten noch nie gehört hatte, vermittelte ihn an einen weisen Mann. Der weise Mann wog vierzig Kilo, lag zusammengekrümmt auf der Straße und verkaufte Polidorio einen Zettel mit Beschwörungsformeln, der abends unters Bett gelegt werden musste. Seine Frau brachte schließlich eine Anstaltspackung Aspirin aus Frankreich mit.
    Es war nichts Seelisches. Polidorio weigerte sich zu glauben, dass es etwas Seelisches war. Was sollte das für eine Seele sein, die jeden Tag um genau dieselbe Uhrzeit brüllende Schmerzen auslöste? Um vier Uhr nachmittags war nichts Besonderes. An der Arbeit konnte es nicht liegen, die Schmerzen kamen auch an freien Tagen. Sie kamen um vier und blieben bis zum Schlafengehen. Polidorio war jung, er war von athletischer Konstitution und ernährte sich nicht anders, als er sich in Europa ernährt hatte. In unmittelbarer Nähe des Sheraton gab es einen Laden mit Importwaren, einheimisches Wasser benutzte er nicht mal zum Zähneputzen. Das Klima? Warum hatte er dann nicht vierundzwanzig Stunden am Tag Kopfschmerzen?
    In den einsamen Stunden der Nacht, wenn der Pesthauch der Hitze durch das Moskitonetz zu ihm drang, wenn das unbekannte Meer an die unbekannten Felsen schlug und die Insekten unter seinem Bett tobten, glaubte er zu wissen, dass es weder etwas Körperliches noch etwas Seelisches war. Es war das Land selber. In Frankreich hatte er niemals Kopfschmerzen gehabt. Nach zwei Tagen in Afrika setzten sie ein.
    Er nahm die Tabletten in den Mund, spülte sie mit zwei Schluck Kaffee hinunter und spürte dem sanften Druck in seiner Speiseröhre nach. Es war sein tägliches Ritual, und es verletzte ihn, von dem hemmungslos vor sich hin redenden Dicken dabei beobachtet zu werden. Während er die Packung wieder in der Schublade verstaute, sagte er: «Oder sehen wir hier aus wie die Annahmestelle für Scheißprovinzprobleme? Hau ab in deine Oase. Du Kaffer.»
    Stille. Kaffer. Er wartete auf die Reaktion, und die Reaktion kam mit nur einsekündiger Verzögerung: Der Dicke riss lustig seine Äuglein auf, formte mit dem Mund ein kleines O und wedelte schlaff eine Hand in Schulterhöhe. Dann redete er weiter. Oase, Straßenzustand, Hollerith-Maschine.
    Zwei Monate war es her, dass Polidorio seine Arbeit hier angetreten hatte. Und seit zwei Monaten wollte er nichts anderes als nach Europa zurück. Schon am Tag seiner Ankunft hatte er festgestellt (und diese Feststellung mit einem Fotoapparat bezahlt), dass vor den fremden Gesichtern seine Menschenkenntnis versagte. Sein Großvater war selbst Araber gewesen, aber früh nach Marseille ausgewandert. Polidorio hatte einen französischen Pass und wuchs nach der Trennung seiner Eltern bei der Mutter in der Schweiz auf. In Biel ging er zur Schule, später studierte er in Paris. Seine Freizeit verbrachte er in Cafés, in Kinos und auf dem Tennisplatz. Die Leute mochten ihn, aber wenn es Streit gab, nannten sie ihn Pied-noir. Wäre sein Aufschlag besser gewesen, hätte er vielleicht Profi werden können. So wurde er Polizist.
    Wie so vieles in seinem Leben war es Zufall. Ein Freund hatte ihn mit zur Aufnahmeprüfung genommen. Der Freund wurde abgelehnt, Polidorio nicht. Während der Jahre seiner Ausbildung veränderte sich die Gesellschaft, ohne dass er viel davon mitbekam. Er war kein politisch denkender Mensch. Er las keine Zeitungen. Der Pariser Mai und die Irren von Nanterre interessierten ihn so wenig wie die nach Luft schnappende Gegenseite. Gerechtigkeit und Gesetze waren für ihn ungefähr identisch. Die Langhaarigen mochte er nicht, aber hauptsächlich aus ästhetischen Gründen. Von Sartre hatte er zehn Seiten gelesen. Es sei einfacher, schrieb seine erste Freundin, als sie sich von ihm trennte, ihn durch das zu beschreiben, was er nicht sei, als durch das, was er sei.
    Seine zweite Freundin

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