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Herrndorf, Wolfgang - Sand

Herrndorf, Wolfgang - Sand

Titel: Herrndorf, Wolfgang - Sand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Troll Trollson
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kein Flic bist. Nehmen wir mal an, du betreibst tatsächlich eine – wie hattest du das gesagt? – eine Recherche.»
    «Ja», sagte Carl ängstlich.
    «Eine journalistische Recherche. Und wozu? Um in den führenden Intelligenzblättern Europas aufsehenerregende pazifistische Artikel gegen Landminen zu veröffentlichen und die Welt ein kleines bisschen schöner und moralischer zu machen?»
    Carl versuchte, aus dem Gesichtsausdruck seines Gegenübers schlau zu werden, und entschied sich dafür, unmerklich zu nicken.
    «Nehmen wir mal an, ich würde dir glauben. Ich glaube dir nicht. Aber nehmen wir’s mal an. Würde nicht selbst der dümmste Journalist zuerst einmal ganz andere Fragen stellen?»
    «Was für Fragen?»
    «Fragen nach Herkunft, Verbreitung, Einsatzgebiet? Und wenn’s schon um Preise geht, muss man dann nicht die Typen benennen?»
    «Was für Typen?»
    «Was für Typen?» Risa zog beide Hände wieder aus den Taschen und legte sie vor sich auf den Tisch. «Du fragst nach einer Mine! Das ist ungefähr so, als ob du fragen würdest: Was kostet ein Obst?»
    «Aber ich sag doch: das teuerste Obst.»
    «Und das ist alles? Das teuerste Obst? Für so was interessiert man sich in Europa?»
    «Ich hab nichts von Europa gesagt.»
    «Und das war’s? Du willst wissen, wie teuer die teuerste Mine ist? Warum fragst du ausgerechnet mich das? Das kann dir jeder andere auch beantworten.»
    «Es antwortet aber keiner.»
    «Jeder Trottel auf der Straße kann dir das beantworten.»
    «Das Problem ist, dass keiner von den Trotteln, die ich gefragt hab, geantwortet hat. Genauso wenig wie du. Weil alle glauben, dass ich irgendwas will. Oder dass ich so tue, als ob ich was will. Ich will aber gar nichts, und keiner sagt mir was.»
    «Weil es jeder weiß.»
    «Ich weiß es nicht.»
    «Weil du ein Trottel bist. Schau dich an!» Risa fasste Carls gelben Blazer am Revers. «In dieser Clownsgarderobe würd ich dir nicht mal verraten, wie du heißt. Zieh dich erst mal anständig an. Das ist nicht gut für die Gesundheit, wenn man so aussieht. Und es ist auch nicht gut für die Gesundheit, wenn man derart ahnungslos ist. Kapiert? Und du bist ahnungslos. Du hast absolut keine Ahnung.»
    «Stimmt. Ich hab absolut keine Ahnung. Und du bist der Fachmann, und deshalb bin ich hier.»
    «Ich bin kein Fachmann.»
    «Nein. Okay.»
    «Wer hat das gesagt, dass ich ein Fachmann bin?»
    «Niemand hat das gesagt. Entschuldigung. Du bist natürlich kein Fachmann. Aber im Gegensatz zu mir weißt du immerhin schon mal, dass es unterschiedliche Typen von Minen gibt, die unterschiedlich viel kosten. Wahrscheinlich. Und du weißt wahrscheinlich auch, was sie kosten, weil es jeder auf der Straße genauso weiß. Mehr will ich doch gar nicht wissen.»
    «Mein Glas ist leer», sagte Risa nach einer langen Pause. Carl schob ihm sein eigenes Glas rüber, das er nicht angerührt hatte. Risa trank es in einem Zug aus und sagte: «Es ist schon wieder leer.»
    Carl versuchte, dem Barmann ein Zeichen zu geben, und der Barmann rührte sich wieder erst, nachdem Risa das Zeichen durch Kopfnicken bestätigt hatte.
    «Na schön», sagte Risa. «Du willst also was wissen. Und ich sag dir was. Weil du meinen Schnaps zahlst. Und weil es jeder weiß. Weil es Wissen ist, das auf der Straße liegt. Du willst also den Rolls-Royce unter den Minen. Jugoslawisches Fabrikat?»
    «Ja.»
    «Oder englisches?»
    «Ja. Egal.»
    «Oder amerikanisches?»
    «Ja. Amerikanisches.»
    «Du willst also was Amerikanisches? Sind dir jugoslawische nicht gut genug?»
    «Nur der Preis. Was am meisten kostet.»
    «Was am meisten kostet?» Wütend starrte Risa Carl an. Er sprang auf und setzte sich wieder. Die Narben auf seinem Gesicht leuchteten hellrosa. Carl, der dem Blick nicht standhalten konnte, machte den Fehler, sich abzuwenden. Im nächsten Moment lag er auf dem Rücken neben der Bar. Der Narbengesichtige kniete auf seiner Brust, Scherben splitterten, und der Barmann stand mit einer am Hals abgebrochenen Flasche über ihnen.
    «Was! Am! Meisten! Kostet!», schrie Risa. «Glaubst du im Ernst, ich fall auf dich rein? Glaubst du, ich weiß nicht, wer du bist? Das wusste ich schon, als du reingekommen bist! Ich erkenn doch einen Flic! Und du bist kein Flic. Was bildest du dir ein, du Scheißschwuler?» Er drückte Carl die Kehle am Hemdkragen zusammen. Carl röchelte und versuchte, sich so wenig wie möglich zu wehren. «Denkst du, du kannst hier einen aufzaubern, wenn du nicht mal weißt, wo

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