Herrschaft der Alten (Roman) (Science Fiction Thriller /Herrschaft der Alten Gesamtausgabe) (German Edition)
von seinem Konto abgebucht – beziehungsweise derzeit noch vom Konto seiner Eltern, er selbst war ja noch nicht erwerbstätig.
Benn blickte zum Himmel. Er sah, wie einer der Passagiergleiter sich aus seiner Kolonne löste und herabschwebte. Das elegante Fluggerät landete punktgenau neben ihm.
Die Schiebetür öffnete sich und Benn stieg ein. Außer ihm hatten noch zwei mittelalte Frauen in der Kabine Platz genommen. Benn schätzte sie auf achtzig, auch wenn sie sich alle Mühe gaben, noch wie flotte Sechziger auszusehen. Ein Iris-Scanner identifizierte Benn und griff dabei über seine implantierte Schnittstelle auf sein Bewegungsprofil zu.
Ein Display erschien auf der Oberfläche einer Konsole.
>BENN GENZLER, HÄUFIGF GEWÄHLTE ZIELE
1. WOHNADRESSE VON SARA JÖRGENSEN
2. RESIDENZ MIT INTEGRIERTER PFLEGE, APARTMENT 4087
3. HOLOPARK SÜD<
Die Liste auf dem Display zählte noch ein paar Dutzend weiterer Ziele auf. Benn stoppte das durch die Berührung eines Kontaktfeldes. Er wählte Ziel Nummer zwei aus und setzte sich.
Die RESIDENZ MIT INTEGRIERTER PFLEGE war ein sogenannter Mehrgenerationen-Wohnblock. Der Begriff stimmte in so fern, als tatsächlich unter den Bewohnern vermutlich alle Generationen ab Mitte neunzig vertreten waren. In Apartment 4078 lebte Kevin Mölders. Mölders war weit über hundertzwanzig und litt unter diversen Krankheiten und Schwächen, darunter auch unter einer Form von Muskelschwund. Er war über viele Jahre hinweg in einem gut dotierten Beruf als Dozent für Literaturwissenschaft tätig gewesen. Allerdings war die Uni, an der er gelehrt hatte, inzwischen geschlossen worden. Nachdem schon die staatlichen allgemeinbildenden Schulen abgeschafft und durch Online-Angebote ersetzt worden waren, setzte man nun die Zahl der sogenannten „Präsenz“-Universitäten mit einem herkömmlichen Lehr- und Forschungsbetrieb herab.
Mölders hatte sich daraufhin noch einige Jahre mit Zeitverträgen durchgeschlagen und sich als Bearbeiter von Online-Klassiker-Ausgaben verdingt. Sein geplanter Wechsel an eine ausländische Uni war in letzter Sekunde gescheitert. Er hätte damals als über Neunzigjähriger jederzeit das Land verlassen können, aber der Gesundheitscheck hatte ihm einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zwar rissen sich gut hundert Nationen, deren Bevölkerung mehr oder weniger stark schrumpfte und vergreiste um den Nachwuchs der anderen. Aber je höher das Alter, desto höher auch die gesetzlichen Hürden, die diese Länder errichteten. Viele, darunter die USA, verlangten einen Gesundheitscheck, der die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch pflegeintensiver Krankheiten berechnete. Und bei Mölders war die spezielle Art von Muskelschwund, die ihn heute an das Antigrav-Aggregat kettete und von den Diensten eines Pflegeroboters abhängig machte, damals in einem noch symptomfreien Frühstadium diagnostiziert worden.
Es gab kein Land auf der ganzen Welt, dass sich bei Einwanderern freiwillig ein so hohes Pflegerisiko aufgehalst hätte. Jedenfalls nicht für einen Literaturwissenschaftler - mochte er sich auch noch so viele Verdienste erworben haben. Bei einem Cyberwar-Abwehrspezialisten hätte der Fall vielleicht etwas anders ausgesehen.
Benn hatte sich Mölders' Geschichte schon Dutzendfach anhören müssen. Dem alten Mann schien es einfach ein Bedürfnis zu sein, immer wieder über seine verpassten Chancen nachzusinnen. „Ich hätte mit achtzig das Land verlassen sollen, da wäre es noch gegangen!“, sagte er immer wieder und seufzte. Jedenfalls hatte sich Benn vorgenommen, diesen Fehler in seinem eigenen Leben nicht zu begehen. Nein, dachte er, ich werde gehen, solange mich da draußen in der Welt noch jemand haben will!
Als Benn das Apartment betrat, schwebte ihm Mölders entgegen. Sein Körper war an einem Antigrav-Aggregat festgeschnallt.
„Na endlich! Ich habe schon gedacht, du kommst gar nicht mehr vorbei!“
„Tut mir leid, ging nicht früher“, meinte Benn.
Mölders schwebte plötzlich abrupt empor. Im nächsten Moment hing er an seinem Antigrav-Aggregat unter der Decke. „Das Ding reagiert nicht richtig!“, klagte er – vollkommen hilflos in den Gurten hängend. „Der Adapter für die Gehirnströme scheint nicht richtig eingestellt zu sein!“
„Das haben wir gleich“, versprach Benn.
„Immer, wenn man dich braucht, bist du nicht da! Ich habe versucht, dir eine Nachricht zu schicken!“
„Ja, ja ...“
Benn hatte sein System so eingerichtet, dass
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