Herrschaft der Alten (Roman) (Science Fiction Thriller /Herrschaft der Alten Gesamtausgabe) (German Edition)
aushebeln. Gefährlicher war, dass die von Kindern und Jugendlichen versandten Nachrichten automatisch auf Inhalte untersucht wurden, die auf eine sozial schädliche Entwicklung hinweisen konnten. Eine überwältigende Mehrheit der älteren Wähler war sogar dafür, diese Einschränkungen des elektronischen Postgeheimnisses auf bis zu Einundzwanzigjährige auszudehnen, denn angeblich konnten auf diese Weise potenzielle jugendliche Amokläufer herausgefiltert werden. Benn war jedoch überzeugt davon, dass es in Wahrheit um etwas ganz anderes ging. Man wollte junge Leute daran hindern, sich zur Flucht aus dem Geltungsbereich der Bundesgesetze zu verabreden. Schließlich brauchte man jeden von ihnen. Wer hätte sonst all den Alten und Uralten die teure High-Tech-Pflege, die geklonten Ersatzorgane, die Implantate und die kybernetisch aufgerüsteten Hüft- und Kniegelenke erwirtschaften können? Man konnte schließlich in seinem Leben noch so viel Sport getrieben, auf seine Ernährung geachtet und an Vorsorgeprogrammen teilgenommen haben – jenseits des hundertsten Geburtstags häuften sich nunmal die kostenintensiven körperlichen Verschleißerscheinungen. Von einer Alzheimer-Rückbildungstherapie oder einer Antigrav-Gehhilfe mal ganz zu schweigen. Das waren Dinge, von denen ohnehin nur diejenigen träumen konnten, die es geschafft hatten, trotz der rigiden Abgaben-Gesetze irgendwie ein kleines Vermögen zur Seite zu schaffen.
„Willst du noch was essen?“, fragte Benns Mutter. „Dann schiebe ich dir eine Portion in die Mikrowelle.“
Benn nannte seine Mutter meistens Felicitas. Sie wollte das so. Das hört sich nicht so alt an, hatte sie mal gemeint. Also tat Benn ihr den Gefallen und sprach sie so an, es sei denn, er wollte sie ärgern. Dann nannte er sie Mama – und wenn er sie ganz besonders ärgern wollte auch Mutter, was er dann mit ironischer Förmlichkeit betonte.
„Ich muss gleich noch los, um mein Sozialstundenkonto etwas aufzufüllen“, meinte er. „Aber irgendetwas Süßes kriege ich jetzt noch schnell runter.“
Felicitas aktivierte den Küchenrechner. Ein Display wurde an die Wand projiziert. „Komm, such dir schnell was aus!“, forderte sie ihn auf. „Ich muss nämlich auch gleich noch weg!“
Felicitas war wenig zu Hause. Aber das war kein Wunder. Sie war dreiundvierzig Jahre alt, sportlich, erzählte jedem, der es nicht hören wollte, dass ihre Fitnesswerte denen einer zehn Jahre jüngeren Frau entsprachen, und pendelte ständig zwischen Hauptjob, erstem Nebenjob, zweitem Nebenjob und dem Ehrenamt hin und her. Zu dessen Übernahme war jeder Bürger zwischen dreißig und siebzig verpflichtet, während die Sechzehn- bis Dreißigjährigen ein gewisses Pensum an Stunden im Sozialdienst ableisten mussten. Schließlich konnte man all die alten, kranken Hundertzwanzigjährigen nicht einfach vor sich hinvegetieren lassen, obwohl es oft genug trotzdem genau darauf hinauslief. Für die Trocken-,Satt- und Sauber-Pflege waren bei vielen Hochbetagten, die keine großen Rücklagen hatten bilden können, ohnehin vollautomatische Robotsysteme verantwortlich. Aber es gab eben Dinge, bei denen auch der beste japanische Pflegeroboter eine menschliche Hilfskraft nicht zu ersetzen vermochte.
„Ich nehme nur ein paar Donuts“, meinte Benn.
„Ups, dein Zuckeranteil war heute schon hoch genug – und an Kalorien kannst du dir auch nichts mehr erlauben“, stellte Felicitas mit einem ernsten Blick fest, als sie auf die an die Wand projizierte und mit verblüffenden 3D-Effekten ausgestattete Rechneranzeige sah. Eine holografische Grafik entstand und Benn verzog das Gesicht, als er die Botschaft mitgeteilt bekam.
Eine Kunststimme rechnete ihm vor, welche Nährstoffe Benn an diesem Tag bereits zu sich genommen hatte. Der ermittelte Kalorienüberschuss und der Überschuss an verzehrtem Zucker für den Fall, dass Benn die von ihm so heiß begehrten Donuts noch aß, wurden durch zwei bedrohlich aussehende, zylindrische und in karminrot leuchtende Säulen eindrucksvoll dargestellt. Eine schwarze Säule am rechten Rand der Darstellung zeigte, um welchen Betrag die Ausgaben für seine Kranken- und Pflegeversicherung ansteigen würden, wenn er die Donuts doch aß und damit die für seine Person errechneten Kennzahlen überschritt. Eine blinkende Anzeige darunter wies auf das erhöhte Risiko für Fettleibigkeit, Diabetes und Gefäßerkrankungen hin. Außerdem stand da noch ein Hinweis auf die erhöhte
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