Herrscher der Eisenzeit
Türkei – ist zu dieser Zeit eine zerrissene Region. 60 Jahre zuvor war es noch Bestandteil des Weltreichs von Alexander dem Großen. Als der stirbt, zerfällt es im Krieg seiner Nachfolger, der Diadochen, in drei neue Königreiche: Ägypten, Makedonien und Syrien.
Das Gebiet südlich wie nördlich des großen Tauros-Gebirges steht unter der Herrschaft des syrischen Königs Antiochos I. Nur an Küsten des Pontos – dem Schwarzen Meer – und der heutigen türkischen Ägäis behaupten sich mehr oder weniger unabhängige griechische Koloniestädte wie zum Beispiel Troja, Pergamon, Ephesos und Milet. Mehr oder weniger bedeutet: Formell stehen auch sie unter der Oberherrschaft des Antiochos, merken jedoch davon rechtwenig. Der Syrer ist mit den Staatsgeschäften in seinem Kernland derart beschäftigt, dass er es kaum schafft, die Steuereintreiber in den Norden seines Reiches zu entsenden. Ein Nebeneffekt: Die Abwesenheit straffer syrischer Verwaltungsstrukturen lässt den Kolonien genug Freiräume für eigene kleine Zwiste untereinander.
So hat König Nikomedes von Bithynien am Pontos ein gieriges Auge auf das westlich von ihm gelegene, von seinem Bruder Zipoitas regierte Tyni (das Gebiet um den sich heute auf asiatischer Seite befindenden Teil Istanbuls) geworfen. Öffentlich gegen seinen Bruder vorzugehen, wäre jedoch politisch unkorrekt. Einen besseren Eindruck macht hingegen ein Herrscher, der seinen Nachbarn von einer ernsthaften Plage befreit. Nikomedes geht also zunächst daran, Tyni genau diese Plage zu schicken. Er entsendet Unterhändler über den Bosporos, die in seinem Auftrag die drei keltischen Stämme als Söldner anwerben. Sie sollen das Heer des Zipoitas zerschlagen. Ihr Lohn: Was immer sie wegtragen können. Nikomedes geht noch weiter. Er stellt ihnen sogar seine eigenen Schiffe für die Überfahrt zur Verfügung.
Er ahnt noch nicht, welche Geißel er Kleinasien damit aufbürdet.
Zunächst läuft für Nikomedes alles nach Plan. Die Kelten akzeptieren begeistert sein Angebot, in einem kurzen Handgemenge zerschlagen sie das Heer seines Bruders, der wenig später auf mysteriöse Weise ums Leben kommt. Tyni ist nicht nur schutz-, sondern auch führerlos. Nikomedes erhöht den Leidensdruck, indem er sich reichlich Zeit lässt, seinen Plan zu Ende zu führen. Am Ende wird er schließlich von der tynischen Bevölkerung mit offenen Armen als Befreier von den keltischen Kriegerhorden und neuer Herrscher empfangen.
Allerdings ist er jetzt in einem Dilemma, was seine Söldner angeht. Sie waren ihm eine große Hilfe, doch nun erwartet die Bevölkerung, dass ihr neuer Herrscher sie von den plündernden Horden befreit. Schließlich verfällt er auf die geniale Idee, den Kelten ein anderes Gebiet anzubieten, in welchem sie ihre Raubzüge fortsetzen können.
Die Sache hat nur einen Haken: Er vergisst ihnen zu sagen, dass das Gebiet, das die Gallier von nun an durchstreifen, in dem sie Dörfer überfallen und kleine Städte um »Friedensgeld« erpressen, gar nicht ihm gehört. Das wird noch Folgen haben.
Von unbequemen Nachbarn und Elefanten
Mehr als drei Jahre lang sind die Galater, wie die Kelten inzwischen auch genannt werden, der Albtraum der einheimischen Bevölkerung des heutigen Anatoliens. Sie betreiben keinen Ackerbau, sondern ernähren sich von Viehzucht und den Früchten ihrer Raubzüge. Davon, dass sie Antiochos eventuell ein Dorn im Auge sein könnten, merken sie nichts. Dieser sitzt fernab des Geschehens jenseits des Tauros, während seine formellen Untertanen unter den wilden Kriegern zu leiden haben.
Das Blatt wendet sich im Jahr 274 v. Chr. Syrien liegt zu dieser Zeit im Krieg mit Ägypten. Im Zuge dessen attackieren die Truppen des Pharaos Ptolemaios II. mit ihren Kriegsschiffen auch die Küstenregionen Kleinasiens. Antiochos I. ist im Süden beschäftigt, sodass seine Untertanen nördlich des Tauros auf sich gestellt sind. Schließlich treffen die Herrscher der Regionen Kappadokien und Paphlagonien eine folgenschwere Entscheidung: Sie heuern die Kelten als Söldner gegen die Ägypter an.
Bislang hat sich Antiochos zugegebenermaßen wenig für das Geschehen in Phrygien, heute Zentralanatolien, interessiert. Doch jetzt übernehmen die Kelten Funktionen, die eigentlich seine sind. Damit setzen sie nicht nur seine Würde herab, sondern sie mischen sich real in die Außenpolitik des syrischen Staates ein. Das kann und wird er nicht dulden.
Im Hochsommer marschiert Antiochos mit seinem Heer
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