Herz an Herz
hat einen Satz gemacht. Ich werde diesen Augenblick nie vergessen.
Und wie habe ich reagiert? Habe ich freundlich gelächelt? Dich mit meinem Charme umgarnt? Bin ich ruhig geblieben? Nein. Ich bin sofort auf deinen lustigen Spruch eingestiegen, habe Unsinn geredet, Witze gemacht und in keiner Sekunde irgendetwas Persönliches von mir preisgegeben. Ich wollte, dass Du den besten Eindruck von mir bekommst – und war doch nur ein hohler Clown. Mit meiner jovialen Art und meinen Sprüchen wollte ich meine Unsicherheit überspielen. Doch ich habe schnell gemerkt, dass ich Dich damit nicht beeindrucken konnte. Im Gegenteil.
Weißt Du noch, wie ich Dir in einer Mail geschrieben habe, wie ich mich hasse, wenn ich zum Klassenclown werde? Wenn ich aufdrehe und Witze mache und alle unterhalten will und mir dabei selbst völlig fremd bin? Nun, bei der Hochzeit ist mir das erste Mal aufgefallen, dass ich diese Seite an mir hasse. Ich war so unsicher, dass ich eine Rolle gespielt habe. Und das hat Dich wahnsinnig genervt. Verständlicherweise. Ich habe es (leider zu spät) bemerkt und war gegen Ende des Abends deswegen zutiefst deprimiert. Je stärker ich versuchte, Dich für mich zu gewinnen, desto fremder wurde ich mir selbst, und desto stärker habe ich alles auf Dich projiziert.
Ich hatte Dich gefunden und sofort wieder verloren.
Als die Braut uns irgendwann aufforderte, diese blödsinnige Flaschenpost zu schreiben und sie dann unter großem (und betrunkenem Jubel) ins Meer zu werfen, da hatte ich plötzlich diesen Einfall. Ich würde Deine Flasche aus dem Meer angeln und sie beantworten. Ach, was sage ich da, es war kein Einfall, es war eine Eingebung. Es war, als würde ich vom Schicksal eine zweite Chance bekommen. Es hört sich albern an, aber genau dies waren meine Gedanken. Ich mag schon etwas angetrunken gewesen sein, aber das ändert nichts daran, was für eine große Hoffnung ich in diesem Moment spürte.
Während Du Deine Nachricht geschrieben hast, habe ich nur darüber nachgedacht, wie ich an Deine Flaschenpost kommen könnte. Wenn man etwas wirklich will, wenn man seine ganze Konzentration auf diese eine Sache bündelt, dann gelingt einem erstaunlich viel. Ich wette, Du hast nicht bemerkt, dass ich Deine Flasche mit meiner vertauscht habe, als Du Deinen Brief schon hineingesteckt hattest, oder? Du hast die Flasche verschlossen und dann für einen Moment zu den anderen Gästen geguckt. In diesem Moment habe ich die Flaschen ausgetauscht. Du hast also in Wirklichkeit meine Flasche ins Meer geworfen, und ich habe Deine später heimlich in meine Manteltasche gesteckt. Wie ein Schatz lag sie dort sicher verwahrt, und erst im Hotelzimmer habe ich sie geöffnet. Dort reifte auch der Plan, mich als Berti auszugeben und Dir zu antworten. Zugegeben, ein wenig habe ich gehofft, Du würdest mich erkennen. Andererseits habe ich gebetet, Du würdest es nicht tun. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, nur, dass ich Dir unbedingt zeigen wollte, dass ich nicht der alberne und oberflächliche Typ bin, den Du im Laufe des Abends regelrecht hassen gelernt hast. Warum?
Ich hatte eine unheimliche Sehnsucht nach Dir. Vom ersten Augenblick an. Und das Gefühl hat nie aufgehört.
Deine Briefe waren von Anfang an so, wie ich mir unser erstes Gespräch gewünscht hatte: offen, witzig, ehrlich und voller Wärme. Wenn ich über Deinen Briefen saß, habe ich oftmals laut gelacht und dann wieder vor lauter Glück fast geweint. Gleichzeitig habe ich immer gedacht, jetzt musst du es irgendwie schaffen, Sara zu sagen, wer du bist. Aber es kam einfach nicht der richtige Augenblick. Ich gebe zu, ich war feige. Aber nach einer Weile hatte ich Angst, Du könntest derart verletzt sein, wenn ich mich als Robert von der Boltenhagener Hochzeit oute, dass Du gleich davonlaufen würdest. (Und wie sehr hatte ich mit der Annahme recht!)
In den vergangenen Monaten begleitete mich also stets die Angst, die Intimität und das neu entstandene Vertrauen zwischen uns zu zerstören und Dich zu verlieren. Jetzt kommt es mir unglaublich vor, dass ich Dich nach München habe fliegen lassen, ohne Dir zu sagen, wer ich bin.
Wie konnte ich das nur tun? Wie habe ich gedacht, würdest Du reagieren?
Ich habe die Antworten darauf ganz offenbar verdrängt, und es tut mir wahnsinnig leid. Ich weiß nicht, was ich jetzt noch machen kann, damit Du mir verzeihst. Ich kann Dich nur inständig bitten, es zu tun.
Bitte!
In großer Hoffnung. Dein
Weitere Kostenlose Bücher