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Unter dem Räubermond

Unter dem Räubermond

Titel: Unter dem Räubermond Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jewgeni Lukin
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1
    Trugbilder über der roten Wüste
    D er Mensch ist unverbesserlich: Da haben sie dich ausgezogen, verprügelt, ausgeraubt – und du verlangst immer noch irgendeine Gerechtigkeit! Werden sie dir also den Schleier vom Gesicht reißen, dich in die Wüste führen, dich zwanzig Schritt weggehen lassen, und dann befehlen sie dir, dich umzudrehen, machen auf Kommando eine Bewegung mit den leicht einwärtsgekrümmten Schilden. Und die unerträglich weiße, lodernde Glut flammt auf, blendet dich, streift über dich – das ist das Letzte, woran du dich erinnern wirst, abgesehen natürlich vom Schmerz. Und dann erzähl der Mutter Kamelstute, wie gerecht sie mit dir auf Erden verfahren sind …
    Und das Komischste ist ja, dass es wirklich gerecht war … Erinnere dich: Als jener Bastard Oreya der Vierte abdankte – hast du etwa nicht zusammen mit allen anderen gejubelt? Ach ja, gewiss … Hast du, wenn auch aus anderem Grund. Wegen der Aussicht auf Freiheit für den Palmenweg. Ich will gar nicht fragen, was sie dir nützen sollte, diese Freiheit … Die Heimat? Weißt du überhaupt, was das ist? Heimat ist das, was dich in die Wüste führt, dich zwanzig Schritte gehen lässt und dir dann befiehlt, dich umzudrehen.
    Derlei erlesen aufrührerische Gedanken formten sich unter dem weißen Kopftuch, das von einem abgeschabten Lederring gehalten wurde. Der Eigentümer sowohl des Tuches als auch der Gedanken, ein junger Mann in weitem, sonnengebleichtem Kittel … War er denn überhaupt jung? Das Gesicht des Mannes war von einem Schleier verhüllt, die braun gebrannte Stirn von Falten zerfurcht – wie sollte man wissen, ob er gerade die Stirn runzelte oder die Falten für immer blieben? Die Augen – hoffnungslos müde, und bitterer Hohn verbirgt sich darin. Überhaupt ist das mit dem Alter in der Wüste so eine Sache. Man glaubt es mit einem Greis zu tun zu haben, und er ist gerade mal zwanzig. Freilich, hier kann man an einem einzigen Morgen altern, wenn man sich so mit letzter Kraft gegen den von vielen Händen glatt polierten fünften rechten Holm stemmt!
    Die Handelsgaleere – ein knarrender Holzrumpf auf vier fassförmigen Rädern, mit einem kurzen Mast versehen – kroch am Rande der Schotterwüste Papalan entlang. Das Ende des langen Wimpels, der »Schwanz« genannt wurde, schleifte trübsinnig über die Steine. Der Bug der Galeere war grotesk abgeschnitten. Früher hatte dort ein geschnitzter Kamelkopf mit einem dicken Horn auf der Stirn geprangt, doch nach dem denkwürdigen Edikt hatte man ihn abhauen müssen.
    Im Morgengrauen waren sie aufgebrochen. Nachts zu fahren hatte der Eigner nicht gewagt: Es war die reinste Räubergegend, zudem würde bald Vollmond sein …
    Unter den breiten Radfelgen knirschte und knackte der rötliche Schotter, der sich rasch aufheizte. Die Füße in den breiten, flachen Sandschuhen gingen in gleichmäßigem Schritt. Der Schiffsläufer unbestimmten Alters, der am fünften Holm ging, hüllte sich in Schweigen. Dafür hatte sein Partner, dessen vorgerücktes Alter offenkundig war, noch vor Tagesanbruch zu murren begonnen.
    »Haben uns den falschen Herrn gesucht … den falschen …«, murmelte er besorgt, und dem jüngeren Läufer ging unwillkürlich durch den Kopf, dass der Alte wohl irgendwie seine Gedanken gelesen haben musste. Aber vielleicht dachten jetzt auf beiden Seiten alle dasselbe …
    Überhaupt, ein bemerkenswerter Alter. Der Schleier gab das graue, wie ein Takyr rissige Gesicht bis zum Nasenrücken frei, ein feuchter Fleck darunter ließ den Mund erahnen. Die Brauen waren buschig, die Augen glotzten gedankenleer. Und unablässig murmelte er, murmelte …
    »Früher – ja … früher – das war ein Leben … klar doch! Da schieben solche Nacktfressen eine Galeere, und wir fragen sie: ›Wohin?‹ – ›Na, nach Ar-Nau …‹ – ›Also dann, pro Holm eine Münze – und ihr könnt abschieben …‹ Und jetzt schieben wir selber den Holm … Eine Schande …«
    Durchsichtige Schichten glutheißer Luft wogten, dass die rötliche Ebene, flach wie ein Zeremonialschild, selber zu wogen schien. Über dem Bord flatterte die vorerst noch nutzlose Leinenplane. Mittags würde sie immerhin etwas Schatten spenden, morgens aber stach die Sonne von der Seite, und man konnte ihr nicht entkommen. Es sei denn, man hatte Glück und ging auf der Schattenseite. Heute hatte er kein Glück …
    Die schlecht geschmierte Hinterachse quietschte jämmerlich wie ein jaulender Hund. Und der Alte

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