Last days on Earth: Thriller (German Edition)
Vorspiel
Der Lichtschein seiner Taschenlampe glitt über die Reihen der Bücherrücken. Hier und da glänzte golden ein Buchstabe auf, schimmerte ein magisches Symbol in seinem eigenen Licht.
Er griff nach einem Buch. Das Licht fiel auf die erste Seite, er knurrte zufrieden, dann wanderte das Buch zu den anderen in seine Tasche.
Die Taschenlampe erhellte eine Vitrine und zwei Stehpulte, auf denen Bücher angekettet lagen. Mit einer schnellen Handbewegung ließ er die Schlösser aufspringen, auch sie landeten in seiner Tasche.
Dann wandte er sich zur Tür. Er lauschte. Löschte das Licht.
Schritte wisperten vorbei. Das waren keine beschuhten Füße, die er hörte, sondern weiche, leise Pfoten. Er drückte sich neben die Tür und hielt den Atem an. Der verdammte Wachmann war ein Werwolf. Wo kam er her? Um diese Zeit hätte er auf der anderen Seite des Museumsgebäudes …
Die Tür sprang auf und misstrauische, grün schimmernde Augen blickten in den Raum. Etwas schnüffelte. Dann veränderte sich die Silhouette des Wolfes, sie wuchs empor und wurde zu der eines Mannes in Uniform, der nach dem Lichtschalter tastete. »Wer ist da?«, sagte er laut. »Wer …«
Er packte den Wachmann an der Kehle und erstickte seinen Schrei, zerrte ihn in den Raum und schlug die Tür zu. Ehe der Mann wieder seine Wolfsgestalt annehmen konnte, hatte er ihm die Kehle herausgerissen – es erstaunte ihn fast, wie leicht das war –, das Blut spritzte ihm ins Gesicht und über die Kleider. Er würde daran denken müssen, sie zu vernichten.
Der Wachmann starb, während er ihm auch das Herz aus der Brust riss. Er ließ die Leiche fallen. So gut es ging, wischte er sich Blut von Händen und Gesicht und sah sich um.
Die Tasche mit den Büchern stand noch neben der Tür, sie war durch einen Schirmständer vor Blutspritzern geschützt worden, wie er sich mit einem kurzen Aufblitzen der Taschenlampe vergewisserte. Er streifte erneut seine Handschuhe über. Blutige Fingerabdrücke waren das Letzte, was er hier hinterlassen wollte.
Während er leise die Tür öffnete und in die Stille lauschte, leckte er sich geistesabwesend über die Lippen. Das Blut des Wachmanns schmeckte salzig-süß. Er schloss die Tür, verriegelte sie wieder und verließ das Museum auf dem gleichen Weg, auf dem er es betreten hatte. Niemand hielt ihn auf.
Draußen blieb er im tiefen Schatten eines Gebüschs stehen und atmete in tiefen Zügen die frische Luft ein. Mit einem strahlenden Gefühl des Triumphs und der Ekstase rief er sich die Bilder des Mordes vor Augen, die er in der Eile nicht hatte angemessen genießen können: Die weit aufgerissenen Augen des Opfers, sein hoffnungsloses letztes Aufbäumen, sein panischer Versuch, die Gestalt zu wandeln, um seinem Schicksal zu entgehen, der Schmerz, die Todesangst – und endlich sein Sterben.
Er seufzte befriedigt und pfiff leise vor sich hin, während er sich auf den Heimweg machte.
12. 19. 19. 03. 17.
Karlas Laune war bereits auf einem Tiefpunkt, als sie ihren Rucksack auf den Schreibtisch warf. Sie wurde noch schlechter, als das Telefon klingelte und sie einen Fluch unterdrücken musste, der das Ding in seine Einzelteile zerlegt und ihr einen Verweis mehr eingebracht hätte. Dann riss sie den Hörer von der Gabel. »Ja?«
»Van Zomeren, kommen Sie bitte in mein Büro.« Der Obermagister legte wieder auf.
»Hekates heiliger Hintern!« Karla schmetterte den Hörer zurück auf die Gabel.
»Na, du bist aber heute gut drauf«, kommentierte Mick, die gerade durch die Tür kam. »Was ist los, ist dein Auto schon wieder kaputt?«
Karla schenkte ihr keine Aufmerksamkeit. Sie kniete vor ihrem Schreibtisch und wühlte im Papierkorb. »Die Wunderland-Akte, die ich gestern hier abgelegt habe«, sagte sie. »Hast du eine Ahnung …?«
Mick schnaubte und pflückte einen Ordner von Karlas Schreibtisch. »Abgelegt?«
Karla erhob sich würdevoll und starrte ihre Kollegin warnend an. Mick lächelte besänftigend. Karla riss ihr wortlos den Ordner aus der Hand und stürmte zur Tür.
»Ach, Carlo? Der Chef wollte dich …« Micks Stimme wurde vom Knall der Tür übertönt.
Heute wünschte sie sich, nie aufgestanden zu sein. Der Besuch bei Fokko Tjarks hatte sie nicht aufgemuntert, im Gegenteil. Ihr Partner lag nach wie vor im künstlichen Koma, und sie hatte nur ein paar Minuten vor seinem Bett gestanden und ihm erzählt, welche Wendung der Wunderland-Fall genommen hatte und dass sie damit rechnete,
Weitere Kostenlose Bücher