Herz des Winters (German Edition)
geborsten. Vorsichtig warf ich einen Blick in das Innere – und schalt mich selbst für meine Feigheit. Der Raum war offenbar vor langer Zeit von Grabräubern geplündert worden, der Boden war von hereingewehtem Laub übersät, doch etwas Gefährliches oder Angsteinflößendes konnte ich nicht sehen. Ich stieg also über die Türreste, betrat den Raum und blickte in zwei leere Augenhöhlen.
Mein Herz machte einen schmerzhaften Satz, als ich mich den blanken Totenschädel gegenübersah, der auf dem staubigen Boden vor sich hin glotzte. Ich lachte über meinen Schreck und schichtete das Laub zu einem halbwegs bequemen Lager zusammen. Durch die Türöffnung sah ich die vor sich hin rottenden Gräber, die mit der Dunkelheit und dem Regen verschmolzen.
Ich wandte den Blick ab und sah wieder die leeren Augenhöhlen und das idiotische Grinsen des Schädels. Ich war sicher, dass er mich bis in meine Träume verfolgen würde, ich konnte seinen Blick beinahe auf mir spüren. Kaum dass ich den Kopf abwandte, schien es mir, als würde er mir zuzwinkern. Irgendwann ertrug ich es nicht länger und rief ihm zu: „Du brauchst nicht denken, ich hätte Angst vor dir! Was kannst du mir schon tun, seit Jahren liegst du hier und konntest nicht weg. Nicht einmal beißen könntest du mich, du Knochenkopf!“
Irgendwie schienen diese Worte einen Bann zu brechen. Vielleicht war es aber auch nur die Tatsache, dass ich zum ersten Mal an diesem Tag eine menschliche Stimme – und war es auch nur meine eigene – zu Ohren bekam. Was es auch war, es nahm die Angst und Verspannung von mir. Mit einem Mal hatte ich sogar so etwas wie Mitleid mit dem Schädel. Immerhin war ihm alles gestohlen worden, sein Grab – sofern es denn seines war – war geschändet worden, sein Körper möglicherweise zu wer weiß welchen Zwecken entwendet … Welches Recht hatte ich da, ihn mit solch verletzenden Worten anzusprechen?
Voller Reue sprach ich zu ihm über die Umstände meines Eindringens in seine letzte Ruhestätte und dass ich nicht in böser Absicht gehandelt hatte. Ich denke nicht, dass es für ihn irgendeinen Unterschied machte, doch es tat gut, mit jemandem sprechen zu können, der mich nicht unterbrach oder mir harsche Worte an den Kopf warf.
Es ist seltsam, dass etwas derart Totes mir solch ein Gefühl von Trost schenken konnte. Erst jetzt wurde mir bewusst, wie einsam ich in den letzten Jahren gewesen war. In der Akademie hatte ich kaum Vertraute gehabt, niemand wurde gerne mit dem Primus gesehen. Nachdem Sikaîl fort war, gab es niemanden mehr, der sich mit mir abgegeben hätte. So kam es, dass ich mich mit noch mehr Eifer in den Unterricht stürzte, während andere in Gruppen ihren Vergnügungen nachgingen. Und dies ist auch der Grund, weshalb ich die Mühe der Gesellenreise gerne auf mich nahm, ich ahnte ja nicht, dass die Welt außerhalb der Akademie mich nicht freundlicher empfangen würde als die innerhalb.
Aber immerhin bin ich heute Nacht in Gesellschaft. Vielleicht sollte ich meinen neuen Freund einfach mitnehmen, wenn ich wieder aufbreche.
DANKSAGUNG
Da so ein Buch sich nicht von alleine schreibt, möchte ich die Gelegenheit nutzen, um all denen zu danken, ohne die es nicht zustande gekommen wäre. In chronologischer Reihenfolge wären das vor allem:
Ramona, die nie müde wurde, mich immer weiter zu ermutigen und die mich sozusagen mit einem Fußtritt durch die richtige Tür befördert hat.
Annabella, Lektorin, Diskussionspartnerin und genereller Stressabbau, die wertvolle Stunden und Nerven geopfert hat.
Farzad, der sich geduldig meinen unzähligen Fragen gestellt hat und der sein kritisches Auge über der Cover-Gestaltung hatte.
Und Marco, der eingesprungen ist, als alle Stricke gerissen sind.
Für die allgemeine Unterstützung, Beratung, Aufmunterung und Nachsicht gilt mein Dank Familie und Freunden, die alle auf die eine oder andere Art mitgelitten haben.
Über die Autorin
Madeleine Puljic wurde 1986 in Oberösterreich geboren und absolvierte die Kunstschule in Wien. Seit ihrer Jugend schreibt sie Geschichten im Bereich des Schaurigen, Seltsamen und Nachdenklichen, die bereits mehrfach Auszeichnungen erhielten und in Anthologien und Literatursendungen veröffentlicht wurden.
http://www.winterheart.at
Herz des Winters © 2013 Madeleine Puljic
Umschlaggestaltung, Satz: Madeleine Puljic
Bild: Unholy Vault Designs, Eric Isselee
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