HERZ HINTER DORNEN
Gefahr, in der er schwebte.
»Ihr müsst fort von hier«, forderte sie mit spröder Stimme. »Ihr könnt nicht länger in Winchester bleiben!«
»In der Tat.«
Da sich diese Einschätzung durchaus mit den Plänen des normannischen Edelmannes traf, widersprach er nicht. Wenn sie wusste, wer er war, musste er umgehend den Hof verlassen. Diesem stürmischen Temperament zu vertrauen wäre Selbstmord, sogar wenn er es für möglich gehalten hätte, einem weiblichen Wesen überhaupt zu vertrauen. »Ihr vergällt mir die Gastfreundschaft Eures liebenswürdigen Königs, Mylady.«
»Spart Euch den Hohn!« Roselynnes Hände ließen das Wams los, dafür schlug sie mit geballten Fäusten gegen die ungerührte Brust. »Ihr müsst fort, ehe der König erfährt, dass Ihr diese Gastfreundschaft mit schändlichem Verrat vergelten wollt.«
Der Graf runzelte die Stirn und fragte sich zum ersten Mal, ob die Demoiselle de Cambremer am Ende doch mehr wusste, als er glaubte. »Ihr seid ja ganz besessen von der Idee, mich zum Verräter zu stempeln. Habt Ihr denn auch handfeste Beweise für Eure Behauptungen, oder stützt Ihr Euch nur auf meine Laune, unter einem bescheideneren Namen zu reisen? Was wollt Ihr tun? Dem König berichten, was Ihr vermutet?«
Die zynische Provokation entlockte der jungen Frau ein verzweifeltes Stöhnen.
»Wie könnt Ihr nur denken, dass ich Euch ans Messer liefern würde«, sagte sie müde. »Eher würde ich mich selbst dem Schwert des Henkers beugen, als Euren Tod auf dem Gewissen zu haben.«
Ihr gequältes Geständnis trug den Stempel hoffnungsloser Ehrlichkeit. Dem Edelmann wollte keine Antwort darauf einfallen. Sosehr er seine Augen auch anstrengte, da war nicht mehr als ein anmutiger Schatten vor ihm. Ein Duft nach Rosen und der flüchtige Hauch weiblicher Erregung, den er schon einmal an diesem Tag gekostet hatte.
Es berührte ihn so tief, dass er die Schwäche, die sich damit verbreitete, zu fürchten begann. Er hatte bei Gott keine Zeit, sich in der subtil mädchenhaften Falle eines appetitlichen Edelfräuleins zu verlieren, das an ein Herz appellierte, welches gegen alle Gefühle gepanzert war. Der Verstand sollte die Richtschnur aller Handlungen eines Mannes sein, nur dann blieb er vor Unglück gefeit.
»Ihr verschwendet Euren Edelmut und Eure Tapferkeit an den falschen Mann, Demoiselle«, versuchte er diese Maxime in Worte zu fassen. »Mischt Euch nicht in Dinge, die Ihr nicht verstehen könnt.«
»Ihr müsst gehen«, Roselynne wischte seine Worte zur Seite, als wären sie nur das Wispern des Windes.
»Verlasst Winchester, ich flehe Euch an. Kehrt in die Normandie zurück! Ist Euch nicht klar, dass Ihr mit jedem Wort an diesem Hofe Euer Leben riskiert? Unterschätzt den König nicht! Warum seid Ihr zurückgekommen? Um meiner Schwester willen? Sie ist jetzt die Baronin von Aylesbury und trägt die Kinder eines anderen Mannes.«
Es war . nicht ihre Art, bewusst grausam zu sein, aber sie wusste instinktiv, dass sie ihn aus seiner höchst gefährlichen Gleichgültigkeit reißen musste.
»Ihr solltet endlich von der absurden Vorstellung Abschied nehmen, dass ich noch immer um eine Verlobte trauere, die dieses Bündnis entschlossen gekündigt hat«, hörte sie die so ungeheuer kultivierte Stimme im Dunkeln sanft und mit kaum wahrnehmbaren Sarkasmus antworten. »Ich bin kein einsamer Ritter, der sich um einer vergessenen Vergangenheit willen in Gefahr bringt. Ich bin lediglich dem Befehl meines Souveräns gefolgt.«
Roselynne rang um Fassung und Worte. Was konnte sie tun oder sagen, um diese Mischung aus männlicher Überheblichkeit und gefährlichem Leichtsinn zu rühren?
»Umso besser«, versuchte sie ihre eigenen Empfindungen tapfer zu überspielen. »Dann wird es Euch leicht fallen, diese Insel zu verlassen. Geht! Je eher Ihr es tut, umso sicherer ist es.«
Die Dringlichkeit, mit der sie ihn davon schickte, erstaunte und verärgerte ihn zu gleichen Teilen. Er war es nicht gewohnt, wie ein missliebiger Bittsteller behandelt zu werden. Noch dazu von einer jungen Person, die den ganzen Abend damit verbracht hatte, ihm das Blut schneller durch die Adern zu treiben.
»Was erwartet Ihr?«, spottete er gereizt. »Dass ich jetzt davon spaziere und Euch mit Euren gefährlichen Vermutungen und dummen Gedanken zurücklasse?«
»Es wird Euch nichts anderes übrig bleiben, als mir zu vertrauen«, wisperte sie, der Auseinandersetzung und der Ängste müde.
Der lange Tag und die widersprüchlichen
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