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HERZ HINTER DORNEN

HERZ HINTER DORNEN

Titel: HERZ HINTER DORNEN Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unbekannter Autor
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Zöpfen flocht und den Scheitel mit der Kapuze ihres Umhangs bedeckte: der Körper unter all dem Stoff war nach dieser Nacht nicht mehr derselbe wie früher. Die gewohnten Gebete ihrer Andacht flohen sie, und unter der mächtigen Balkendecke der Kapelle erstickte sie fast unter der Woge der Selbstanklagen.
    Was, um alles in der Welt, hatte sie sich von dieser Nacht erhofft? Dass sie das Herz des Seigneurs rührte, das irgendwo unter dieser Kruste aus Stolz und Eis schlagen musste? Dass ihn das Blut ihrer Jungfernschaft von der Reinheit ihrer Absichten überzeugte? Dass er sie vor sich auf sein Ross setzte und auf seine Burg in der Normandie entführte, wo sie bis ans Ende ihrer Tage in himmlischem Frieden und ewiger Liebe leben würden?
    Das bittere Lachen in ihrer heiseren Kehle schmeckte nach Galle und Selbsterkenntnis. Sie konnte nur hoffen, dass er fort war, wenn sie zurückkam. Sie hatte Angst, in seine Augen zu blicken und dort nichts mehr von der Bewunderung zu finden, die sie sich eine Nacht lang mit Leib und Seele erkauft hatte. Im Licht des Tages musste er sie für ihren Leichtsinn und ihre schlimme Hemmungslosigkeit verachten.
    Nicht einmal in diesen Stunden hatte er das Wort Liebe erwähnt oder ihr jene Schwüre geleistet, die sie als selbstverständlich erwartet hatte. Sie war für ihn ein reich gedecktes Mahl gewesen, das er genommen hatte, ohne sich Gedanken um die Bezahlung zu machen. Im Nachhinein konnte sie nur über das dumme Geschöpf den Kopf schütteln, das ihm alles gegeben und nichts verweigert hatte.
    Immerhin zweifelte sie keinen Augenblick daran, dass er sein Wort halten würde. Er würde Winchester und die Insel auf eiligstem Weg verlassen. Und sei es auch nur, um seinem Herrn die Nachricht zu überbringen, dass der Verrat vollbracht und das Zeichen dafür übergeben worden war. Der Ring! Was konnte sie tun, um den Ring des Herzogs an sich zu bringen?
    Wehn doch nur ein einziges Mitglied ihrer Familie in der Nähe gewesen wäre, bei dem sie jetzt hätte Rat suchen können! Aber ihr Vater hatte sich schon nach dem Pfingstfest mit seiner Gemahlin nach Hawkstone zurückgezogen, und die Baronin von Aylesbury, ihre kluge, schöne Schwester, residierte mit ihrem Gemahl und der wachsenden Kinderschar in der Festung an der Mündung des Solent. Sie kamen nur sehr selten an den Hof, denn der Baron hatte stets Mühe, seine Eifersucht im Zaum zu halten, wenn die Ritter des Königs seine schöne Frau umschwärmten, der auch die Geburt des zweiten Kindes nichts von ihrem Liebreiz geraubt hatte.
    Roselynne war nur auf sich selbst und den schmerzenden Kopf angewiesen, der unter der Last ihres Kummers und ihrer Probleme wie mit Eisenbändern umschlossen schien. Auch bei Prinzessin Mathilda würde sie keine Hilfe finden. Vor die Wahl zwischen dem Wohl einer Gefährtin und dem des Königs und Bruders gestellt, würde sie ohne nachzudenken nur die Interessen des Herrschers vertreten.
    »Heilige Mutter Gottes, hilf mir!«, flehte Roselynne und rang die eisigen Hände. »Gib mir die Kraft, das Richtige zu tun!«
    Aber sie wusste gleichzeitig auf einer kühlen, rationalen Ebene ihres Verstandes, dass nur ein Wunder sie davor retten konnte, ihre Pflicht zu tun und Justin d'Amonceux zu verraten. Allein, wer sollte dieses Wunder vollbringen?
    Niemand wagte es, die fromme Beterin zu stören, die auch nach dem Ende der Morgenfeier auf den Knien blieb und deren bebende Lippen ihre innere Aufgewühltheit verrieten. Neugierige Blicke streiften sie; es fehlte nicht viel, und der Sekretär des Bischofs von Canterbury hätte sie angesprochen und ihr geistlichen Beistand angeboten. Nur die flüsternde Stimme eines herbeieilenden Pagen, der den gelehrten Mönch gesucht hatte, hielt ihn letztendlich davon ab.
    Er hatte indes das unverwechselbar feine Profil der stolzen Demoiselle von Cambremer erkannt. Vielleicht würde sich ja im Laufe des Tages die Gelegenheit ergeben, mit der Dame zu sprechen und ihr den Trost der heiligen Kirche anzubieten.
    Roselynne wusste nicht zu sagen, wie viel Zeit vergangen war, als sie das Gotteshaus schließlich verließ. Bleierne Regenwolken hingen bis über die königlichen Standarten der Burg herab. Vereinzelte Windstöße trieben feine Gischt und Nebelfetzen durch den Morgen. Das graue Zwielicht war um keinen Deut heller geworden, und jeder, der nicht in den Höfen und auf den Wehrgängen zu tun hatte, suchte eilends den Schutz eines Daches und die Wärme eines Feuers auf. Sogar die Scharen

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