HERZ HINTER DORNEN
einordnete. »Ihr könntet ihn zähmen, wenn Euch daran gelegen wäre. Reizt es Euch nicht, Gräfin von Duncan zu werden?«
»Das sind Liebenswürdigkeiten, auf die ich gern verzichte, Hoheit!«, entgegnete Roselynne und tätschelte den Hals ihres Zelters, der sich langsam von der allgemeinen Ungeduld anstecken ließ und unruhig tänzelte. »Ich finde keinen Gefallen an der finsteren Direktheit dieses kaledonischen Wilden. Er jagt mir Angst ein.«
»Er kann Euch nichts tun, meine Liebe! Die besten Ritter des Königs umgeben und schützen Euch. Sicherer könnt Ihr diesen Tag auch im Schoße des Paradieses nicht verbringen.«
Roselynne dachte an das Versprechen der Prinzessin, während die Sonne höher stieg und die Falkner der königlichen Jagd gemeinsam mit den Treibern durch das herbstlich braune Gras strichen. Wie üblich ließ der König seinen Greifvögel als Erster steigen, danach gab er das Privileg an seine Gäste und Freunde weiter.
Die junge Edeldame beobachtete in einer Mischung aus Resignation und Bedauern den eleganten Flug der Vögel, die im jähen Sturz aus dem Himmelsblau und dem Tod eines anderen Lebewesens ihr Ziel fanden. In ihrer neuen, geschärften Empfindsamkeit schien es ihr, als könnte sie die Angst dieser bedauernswerten Geschöpfe fühlen, die dort starben. Das Schauspiel begeisterte sie immer weniger, ja es widerte sie zunehmend an.
Sie konnte weder die Freude Margarets noch den sportlichen Ehrgeiz der Prinzessin teilen. So begrüßte sie erleichtert die Rast, welche die Jagdgesellschaft endlich gegen Mittag unter den weit ausladenden Zweigen eines Eichenhaines einlegte. Ein kleiner Bach durchzog als flirrend silbernes Band die Lichtung, und das Gesinde hatte alles für die königliche Gesellschaft vorbereitet.
Der Haushofmeister dirigierte die Lakaien, die in silbernen Bechern frisch gekühlte Weine und herzhaftes Bier servierten. Auf weißem Leinen standen Körbe und Platten mit duftenden Pasteten und köstlichen Leckerbissen aus der Küche des Königs. Es war die Stunde der Edeldamen, die sich nun der ungeteilten Aufmerksamkeit ihrer Seigneurs sicher sein konnten und sie nicht mehr mit Falken und Fasanen teilen mussten.
Um König Rufus sammelte sich der übliche Trupp seiner Ratgeber, Gefährten, Knappen und Diener - eine Art Familie, in der seine Schwester die Rolle der Gastgeberin und Herrin übernommen hatte.
Da die Prinzessin ihre Dienste im Augenblick nicht benötigte, schlenderte Roselynne den Bach entlang auf der Suche nach einem verschwiegenen Plätzchen. Immerhin waren sie seit Sonnenaufgang unterwegs, und sie war nicht die einzige Dame, welche die Rast dazu nützte, Dinge zu erledigen, die absolute Abgeschiedenheit erforderten. Sie musste ziemlich weit gehen, ehe sie hinter ein paar Weidenbüschen ungestörte Deckung fand, in der sie sich erleichtern konnte.
Hier vernahm sie nur das leise Murmeln des Wassers, das sich seinen Weg über die Steine suchte. Das gedämpfte Herbstkonzert der Vögel und das leise Rascheln, mit dem der Wind durch Blätter und Gräser strich, beruhigte ihre angespannten Nerven. Es gefiel ihr, allein zu sein und nur die Natur zur Gesellschaft zu haben.
Allein? O nein! Roselynne fuhr jäh hoch und wirbelte im Schwung ihrer fallenden Röcke herum. Sie wich zurück, bis sie den Widerstand eines Weidestamms im Rücken spürte, und entdeckte den unerwünschten Betrachter halb versteckt hinter einem Busch.
»Ihr?«, rief sie außer sich. »Wie könnt Ihr es wagen, mir aufzulauern? Habt Ihr keinen Anstand, Herr?«
Robert Duncan, die muskulösen Arme vor der breiten Brust verschränkt, näherte sich unbeeindruckt.
Roselynne fühlte, wie ihr das Blut in den Kopf stieg. Wie lange beobachtete er sie schon?
»Ihr seid ein Rüpel!«, warf sie ihm entrüstet vor. »Ein aufdringlicher Gaffer!«
»Und Ihr seid hinreißend, Dame Roselynne!«, grinste der Graf so breit, dass sie im dunklen Gestrüpp seines Bartes überraschend kräftige, helle, wenngleich ein wenig schiefe Zähne aufblitzen sah. »Warum seid Ihr so böse, dass Ihr mir gefallt? Ihr seid eine unverheiratete Jungfer und Ihr seid schön. Ihr müsst es gewohnt sein, die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen.«
Roselynne schüttelte die Falten ihres Gewandes zurecht. Die Peinlichkeit, bei einer so intimen Beschäftigung von dem Schotten überrascht zu werden, wich mehr und mehr der hellen Empörung über sein rüdes Benehmen.
»Ihr vergesst Euch, Seigneur! Lasst mich vorbei!«
Sie musste ihren
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