HERZ HINTER DORNEN
Schatten schlafloser Erschöpfung. Dennoch war sie von einer berückenden Schönheit. Gefährlich wie Gift für den Seelenfrieden eines Mannes. Verführerisch wie die Sünde.
»Und was werdet Ihr Euren Eltern und Eurem König sagen? Sie sorgen sich um Euch!«
»Ich werde Ihnen schreiben, sobald ich die Gelübde abgelegt habe. Sorgt Euch nicht um Dinge, die nicht Eure Sache sind. Leistet mir diesen letzten Dienst und Ihr seid mich für immer los.«
Sie warf ihm unter dem fächerdichten Schleier ihrer dunkeln Wimpern einen Blick zu. Er würde nie erfahren, dass sein Vermögen dazu dienen sollte, dem Kind, das sie trug, Sicherheit und Geborgenheit zu schaffen. Auch unter den frommen Dienerinnen der Kirche gab es eine Hierarchie. Eine Novizin, die dem Kloster Reichtümer brachte, konnte Forderungen und Bedingungen stellen.
»Wenn es Euch ernst damit ist, so weiß ich ein Kloster, das Euch aufnehmen würde«, sagte der Ritter gedankenvoll und ein vertrautes Gesicht, von einem schwarzen Schleier umgeben, tauchte vor seinem inneren Auge auf. Die Schwester seiner verstorbenen Mutter war die Äbtissin der frommen Damen vom Heiligen Kreuz in Montivilliers. Wie lange hatte er nicht mehr an sie gedacht?
Er schreckte davor zurück, bis in die Tiefen seiner Erinnerung zu tauchen. Er musste verrückt sein, ausgerechnet Laurentine du Gard aufzusuchen. Sie gehörte in die Vergangenheit wie so vieles andere, das besser für immer vergessen wurde. Aber gleichzeitig wusste er auch, dass es nur eine Frau gab, der er zutraute, mit Roselynne de Cambremer fertig zu werden.
»Dann bringt mich dorthin«, forderte die Lady, ohne ihm Zeit zu geben, seine Gedanken zu Ende zu führen. Sie warf einen prüfenden Blick zum Himmel. »Ich hoffe, wir finden noch ein Schiff, das um diese Jahreszeit die Fahrt über den Kanal wagt.«
Justin d'Amonceux folgte ihren Augen und sah die Wolkenwand, die von Westen her näher kam. Ein Gebirge aus grauem, geballtem Dunst, das Sturm und Regen versprach, auch wenn über ihnen noch die schwache Sonne eines Novembertages schräge Lichter durch die kahlen Zweige der Eichen sandte. Die stille Lichtung, welche die Ruinen des ehemaligen Klosters und seiner Kapelle barg, wirkte wie eine Insel des Friedens vor dem aufkommenden Unwetter.
»Wenn wir unseren Aufbruch noch länger hinauszögern, werden wir vermutlich Schwierigkeiten damit haben«, brummte er und brach die Debatte ab, indem er sich aus dem Stand in seinen Sattel schwang. »Reicht mir Eure Hand, Lady!«
Roselynne versuchte sich, so gut es ging, mit der Tatsache abzufinden, dass sie das Pferd mit ihm teilen musste. Das Streitross war stark genug, um ihr zusätzliches Gewicht zu tragen, aber wie es um ihre Stärke stand, wenn sie seine unmittelbare Nähe ertragen sollte, wagte sie nicht vorherzusagen. Trotzdem legte sie ihre Finger in seine ausgestreckte Rechte und ließ sich vor ihm in den Sattel ziehen. Es hatte keinen Sinn, gegen Umstände zu rebellieren, die sich nicht ändern ließen.
Das leise Schnalzen, mit dem der Ritter das Pferd in Bewegung setzte, war der letzte Laut, den sie für lange Zeit von ihm vernahm. Gemeinsam mit seinem Begleiter schlug er einen scharfen Trab an, der sie aus dem Wald heraus in Richtung Süden führte. Es lag ihr auf der Zunge zu fragen, welchen Hafen er ins Auge fasste, aber dann schwieg sie lieber. Sie hatte ihm nichts mehr zu sagen.
Der Reiter, dem sie nur den Blick auf die Kapuze ihres Umhangs und einen steif durchgedrückten Rücken bot, kämpfte indes mit einer Fülle der widersprüchlichsten Empfindungen. Befriedigung darüber, dass sie Buße tun wollte, und gleichzeitig tiefes Misstrauen gegen diesen Entschluss. Die Äbtissin der frommen Frauen von Montivilliers würde nicht zulassen, dass sie sich nur den Anschein von Frömmigkeit gab.
Ohne sein Zutun tauchte Roselynnes Bild vor ihm auf, wie sie zum Erntedankfest in die Halle von Winchester geschwebt war. Ganz Silberglanz, bläulich schwarze, schimmernde Haare, elfenbeinfarbene Brüste und diese veilchenblauen Augensterne, die einen Mann zu bannen vermochten. Eine heidnische Priesterin und keine Nonne. Eine Göttin, aber keine Gottesdienerin. Tat er ihr einen Gefallen, sie in die strenge Hand von Dame Laurentine zu geben?
Zum Donner, er hatte keinen Grund, dieser Hexe auch nur den kleinsten Gefallen zu tun! Sie hatte ihn zum Narren gehalten, betrogen und benutzt. Sie hatte den Sünden des Fleisches jene der Lüge und des Verrats hinzugefügt, und es würde
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