HERZ HINTER DORNEN
ihr nur recht geschehen, wenn sie in Montivilliers dafür büßte! Vielleicht verlor sie dann auch endlich diese sinnliche Ausstrahlung, die über Äußerlichkeiten wie Kleider, Schmutz und Erschöpfung hinweg die triumphierende Illusion von Wärme und Leidenschaft vorgaukelte. Die ihn sogar jetzt in Bedrängnis brachte, weil über Leder, Pferd und tausend anderen Gerüchen der feine Duft ihrer unverwechselbaren Person lag.
Die Enge des Sattels ließ es nicht zu, dass er von der stolzen Gestalt abrückte, und seine Arme, welche die Zügel hielten, umschlossen Roselynne. Nur der Himmel wusste, wie nahe ihm der Wunsch lag, dies möge für immer so sein. Er wollte auf ewige Zeiten so dahin reiten, fern von allen Missverständnissen und notwendigen Entscheidungen.
Er unterdrückte auch das zynische Lachen, das bei dieser absurden Vorstellung in ihm aufstieg. Vielleicht sollte er sich ebenfalls in die Klausur eines Konvents zurückziehen und für die Dummheiten seiner Seele und seines Körpers büßen? Er hatte sich hoffnungslos verirrt auf dem Weg zu jenem ritterlichen Ideal, das ihm sein Vater als einzig erstrebenswertes Lebensziel vor Augen gehalten hatte.
Zum Donner, jetzt auch noch an seinen Vater zu denken, verlieh der verfahrenen Angelegenheit eine weitere, tiefere Dimension von Schmerz. Er hatte Buße getan, aber sein Leben würde dennoch nie ausreichen, die schwere Schuld zu tilgen.
Roselynnes Augen weiteten sich ungläubig, als sie das Schiff sah: nicht viel mehr als ein Fischerkahn, die Planken von Seewasser und Sonne gebleicht und das Segel mürbe und verschlissen. Mehr eine Nussschale denn ein vernünftiges Gefährt.
»Zugegeben, es sieht nicht besonders Vertrauen erweckend aus«, las Jacquot sowohl ihre Gedanken als auch die seines Herrn. »Aber der Kapitän ist erfahren und bereit, uns nach Fecamp überzusetzen. Er macht nicht den Eindruck eines Mannes, der sein Leben für ein Abenteuer aufs Spiel setzt. Auch behauptet er, dass der Sturm noch mindestens zwei Tage auf sich warten lässt.«
»Wenngleich die anderen Kapitäne nicht seiner Meinung sind«, fügte Roselynne jenen Satz an, den er wohlweislich verschwiegen hatte.
Jacques zuckte ergeben mit den Schultern. »Sie wollen abwarten. Das bedeutet, dass auch wir abwarten müssen.«
»Nein!« Roselynne wandte ihren Blick zu Justin d'Amonceux, der bisher keine Silbe zu ihrem Gespräch beigetragen hatte. »Ich will nicht abwarten.«
Die Art, wie sie sich umsah und jeden Fremden misstrauisch beäugte, sprach für sich. Sie fürchtete den weit reichenden Arm ihres Vaters, der mit Sicherheit inzwischen von ihrem Verschwinden erfahren hatte und vermutlich nicht auf den einsamen Ritter vertraute, den der König zu ihrer Rettung nach Norden gesandt hatte. Dem Lord von Hawkstone war sogar zuzutrauen, dass er sich selbst mit seinen Männern auf den Weg machte, egal ob es in das politische Kalkül seines Königs passte oder nicht.
Der Ritter teilte ihre Bedenken. Je eher sie die Insel verließen, umso besser. Auch er würde Probleme bekommen, sein Handeln vor dem König zu rechtfertigen. Aber da die Entscheidung nun einmal gefallen war, hatte es keinen Sinn, sie immer wieder von neuem infrage zu stellen. Sie würden dieses alte Boot nehmen und dem Kapitän und seinen Fähigkeiten vertrauen.
Doch als die ächzende Schaluppe mit den Wellen kämpfte und Himmel und Meer zu einheitlichem Grau verschwammen, fragte er sich, ob er nicht doch einen verhängnisvollen Fehler gemacht hatte. Roselynne hing schon zum zweiten Mal blass und grünlich über der Reling und gab das von sich, was sie im Magen hatte.
»Gütiger Himmel, Ihr spuckt Euch die Seele aus dem Leib«, murmelte er in unerwartetem Mitgefühl und wischte ihr die kalten Schweißperlen mit den Fingerspitzen von der Stirn. »Wird es nicht endlich besser? Ihr habt nichts mehr im Magen, das Ihr den Fischen opfern könnt. Anscheinend seid Ihr nicht gerade seefest, Mylady.«
Roselynne verzichtete darauf, ihm zu sagen, dass ihre Übelkeit vermutlich wenig mit ihrer mangelnden Seefestigkeit zu tun hatte. Es war nachgerade eine Erleichterung, die Anfälle ihres rebellierenden Magens nicht länger unterdrücken zu müssen, wenngleich sie sich elendiglich schwach und erschöpft fühlte. So sehr, dass sie nicht einmal den vertrauten Schauer spürte, wenn er sie sorgevoll berührte.
»Hier, trinkt wenigstens einen Schluck, es tilgt den schlimmen Geschmack in Eurem Mund.«
Fürsorglich setzte er ihr jetzt den
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