HERZ HINTER DORNEN
Ablehnung, ehe der Ritter sie mit einem ebenso zynischen wie melodiösen Lachen brach. »Traut mir ein wenig mehr Verstand zu, teure Freundin. Ich werde weder Eurer bezaubernden Enkelin den Hals umdrehen noch meine Mission wegen persönlicher Eitelkeiten gefährden. Ich bin kein romantischer Held, der an gebrochenem Herzen leidet. Im Gegenteil, ich schulde der Dame Dank, dass sie mir beizeiten gezeigt hat, dass mein Vater in seiner Einschätzung des weiblichen Geschlechts am Ende doch richtig lag.«
Der Edelmann bedachte die Respekt einflößende Dame mit einer eleganten Reverenz und ging mit weit ausgreifenden Schritten durch die große Halle der Burg von Rouen. Man machte ihm ehrerbietig Platz, aber hinter ihm brandeten die Gerüchte auf. Es gab nicht viele Männer an diesem Hofe, die es wagten, Dame Elisabetta de Cambremer die Stirn zu bieten.
Er hatte sogar mehr als das getan, er hatte sie auf das Ärgste gereizt. Man sah es daran, wie sie den Stock wütend aufstieß und unwirsch ihre Begleiterin tadelte. Was immer er gesagt hatte, es versetzte sie in höchste Empörung.
Den fraglichen Seigneur kümmerte das Befinden der würdigen Edeldame nur am Rande. Er wusste jedoch, dass ein gut Teil der Eile, mit der er diesem Gespräch entflohen war, auch der Flucht vor den eigenen Gedanken zuzuschreiben war. Was hatte ihn tatsächlich dazu getrieben, dem Herzog seine Bereitschaft für ein so gefährliches Abenteuer zu signalisieren? Er verstand die Einwände der Gräfin besser, als seine mütterliche Freundin ahnte. Robert spekulierte mit Instinkten, die der Ehre eines wahren Ritters unwürdig waren. Allein, die Macht ging ihm über alles, und Rechtschaffenheit war eine Tugend, derer sich die Fürsten nur bei Bedarf bedienten.
Während der Seigneur auf das Pferd stieg, das sein Page im Hof der Burg bereit hielt, und die Wachen am Tor passierte, gestattete er sich einen Blick in die Vergangenheit. Er würde sie also wieder sehen, jene Frau, die ihm die naive Torheit ausgetrieben hatte, an die Ehrlichkeit, Warmherzigkeit und Güte des weiblichen Geschlechts zu glauben. Die schöne Verräterin, die ihn belogen und hintergangen hatte, wie seine Mutter ihren Gatten und seinen Vater belogen und betrogen hatte.
Sie hatte ihn in die Einsamkeit zurückgedrängt, der er mit ihrer Hilfe zu entkommen versucht hatte. In jene Hölle aus Schuld und Hass, in der sogar die Träume nach Tränen schmecken und der Schmerz gewöhnlich war. Die Jahre hatten ihn gelehrt, damit zu leben und den Tod nicht mehr zu fürchten.
Es war ein Tod, den er nicht suchte, aber auch einer, der ihn nicht schreckte. Seit er gelernt hatte, seinen Gefühlen zu entsagen, kannte sein Dasein weder Furcht noch Freude. Er genoss sehr wohl die Annehmlichkeiten weiblicher Gesellschaft, aber er machte sich keine Mühe, mehr über das Geschöpf zu erfahren, das seinen Alkoven teilte und ihn zeitweilig amüsierte. Er suchte auch nicht länger eine Gemahlin, die ihm einen Erben schenkte. Wozu die Linie des Leides fortsetzen?
Und dennoch, der Gedanke, den Kanal zu überqueren und wieder einen Fuß auf den Boden zu setzen, auf dem sie lebte, brach die Dämme, die er zwischen sich und der Vergangenheit aufgerichtet hatte. Er rüttelte an den eisernen Stäben des Verlieses, hinter dem seine Gefühle schlummerten, und kostete erneut den bitteren Geschmack von Verrat, Hass und Rache, von Blut, Verzweiflung und Einsamkeit.
Elisabetta de Cambremer hatte Recht. Es war höchste Narretei, was er plante, aber eine Macht, die stärker als jede Vernunft war, zwang ihn dazu, es zu tun.
1. Kapitel
Die ersten Sonnenstrahlen verdrängten den herbstlichen Nebel und brachen sich auf poliertem Zaumzeug, kostbaren Gewandborten und fein gearbeiteten Juwelenschließen in buntem Feuer. Die Jagdgesellschaft des Königs von England leuchtete mit dem jungen Morgen um die Wette und die unterdrückte Aufregung, die in der Luft lag, zauberte erwartungsvolle Röte auf die bleichen Wangen der Edeldamen und aufgeregtes Funkeln in die Blicke ihrer Begleiter.
Falkner, Hundeführer, Treiber, Pagen und Pferdeknechte hatten alle Hände voll zu tun, auch während der Hofjagd für das spezielle Wohl der eigenen Herrin oder des eigenen Herrn zu sorgen. Die nervösen Jagdvögel tänzelten auf den Fäusten ihrer Besitzer, weil sie trotz der glockengeschmückten Hauben über ihren stolzen Köpfen den Wirbel rings um sie herum ebenso spürten wie die lockende Freiheit des klaren, kühlen Flerbsttages, der
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