HERZ HINTER DORNEN
für die bevorstehende Jagd wie geschaffen war.
Roselynne de Cambremer zügelte den cremefarbenen Zelter ohne erkennbare Mühe. Unter der Krempe ihrer federgeschmückten Samtkappe blickte sie gelassen über das Getümmel hinweg zu den Zinnen, wo die Standarte des Königs die seiner Ritter und Gäste überragte. Keines der bedeutenden Wappen fehlte. Niemand wagte eine königliche Einladung zur Jagd abzuschlagen, wenngleich die Tatsache, dass sie ausgerechnet zu Ehren der schottischen Gesandtschaft gegeben wurde, doch für leichten Unmut unter den Rittern Seiner Majestät sorgte.
Die ständigen Scharmützel an der Nordgrenze zerrten nicht nur an der Geduld des Königs und seiner Ratgeber, sondern auch an der Verteidigungskraft des Reiches. Wenn es endlich gelang, diese Grenze zu sichern, dann konnte man alle Kräfte auf Robert Kurzhose, den älteren Bruder des Königs, konzentrieren, der die Ländereien des Eroberers auf dem Festland beherrschte. Die Krone seines neuen Königreiches hatte Wilhelm dem Zweitältesten Sohn vermacht und damit einen Zwist entfacht, der vermutlich nur mit dem Tode des einen oder anderen Bruders enden würde.
Schon deswegen beging kein Vasall des jüngeren Wilhelms den Fehler, die Teilnahme der Schotten an dieser Jagd für den ersten Schritt zum Frieden zu halten. Es handelte sich lediglich um eine Atempause, die ihr Ende finden würde, sobald alle Gegner genügend Waffen, Krieger und Gold besäßen, um von Neuem aufeinander loszugehen.
Im Gegensatz zum schottischen König musste der Sohn des großen Eroberers, den alle nach seinem roten Haupthaar Rufus nannten - letztendlich auch, um ihn vom Vater zu unterscheiden an zwei Fronten kämpfen. Er war kriegerisch genug veranlagt, um nicht darunter zu leiden, aber er war auch klug genug, um die Mittel der Diplomatie einzusetzen, wenn er sich anders keine Gewinnchance errechnen konnte.
»Gütiger Himmel, dieser schottische Wilde hat Augen wie glühende Kohlestücke«, hörte Roselynne die Demoiselle de Lacey murmeln, während ihre Gefährtin vor Aufregung im Sattel herum rutschte. »Ich möchte wetten, er zieht dir mit seinen Blicken das Gewand aus, Roselynne! Sieh nur, wie er gafft!«
»Achte nicht auf ihn«, riet Roselynne dem Edelfräulein, das wie sie zum Gefolge der Prinzessin gehörte, aber kaum älter als ein Kind war. »Diese Krieger aus dem Norden sind ungeschliffene Barbaren. Sie wissen nicht, was Höflichkeit und Sitte gebieten.«
Margaret, zwischen Faszination und Abscheu hin und her gerissen, rümpfte die ein wenig zu groß geratene Nase. »Du gefällst ihm, Roselynne. Es ist mir schon beim Festmahl gestern Abend aufgefallen. Vielleicht will er dein Ritter werden.«
»Bitte hör auf mit dem Unsinn!« Roselynne milderte ihren heftigen Tadel mit einem Lächeln. Welch ein Glück, dass die dummen Worte des Mädchens im allgemeinen Lärm der Menschen, Tiere und Jagdhörner untergingen. »Der schottische Gesandte hat Besseres zu tun, als sich um das Lächeln einer Hofdame zu bewerben. Außerdem bin ich wahrhaftig nicht daran interessiert, mir einen Gemahl zu suchen. Egal ob Schotte oder Normanne.«
»Hast du deswegen all die guten Partien ausgeschlagen, die der König für dich arrangieren wollte?« Margaret erinnerte Roselynne an ihre kleineren Schwestern. Immer neugierig, ein wenig unbeholfen, aber doch so herzensgut und mit einer Bewunderung im Blick, die schmeichelte, sodass man ihr nicht unnötig weh tun wollte.
»Warum sollte ich meine Freiheit für einen Mann aufgeben?«, antwortete Roselynne de Cambremer mit einer kühlen Gegenfrage.
»Aus Liebe!« Margaret blühte bei diesem Thema förmlich auf. »Man sagt, deine Eltern verbindet eine Zuneigung, die jener des Eroberers für seine flämische Prinzessin gleicht. Auch der Baron von Aylesbury trägt deine schöne Schwester förmlich auf Händen. Er hat nur Augen für sie und keine andere Frau, wenn er bei Hofe ist.«
»Sophia-Rose besitzt eben die Fähigkeit, bei einem Mann eine ganz besondere Leidenschaft zu entfachen«, entgegnete Roselynne mit einem so unerwartet resignierten Unterton, dass die Demoiselle de Lacey nur eine einzige Erklärung dafür fand.
»Zweifelst du etwa an deiner eigenen Anziehungskraft?«, rief sie entrüstet.
»Heilige Mutter Gottes!« Roselynne hätte viel lieber einen der herzhafteren Flüche ihres Vaters ausgestoßen, aber das schickte sich für eine Gefährtin der Prinzessin nun wirklich nicht. Sie hatte in den vergangenen Jahren gelernt, ihr
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