HERZ HINTER DORNEN
ursprünglich quirliges Temperament hinter wohlerzogener Gelassenheit zu verstecken und ihre wahren Gefühle zu verbergen. »Was habe ich getan, dass du annimmst, ich würde im Vorfeld der königlichen Jagd mit dir über meine Mängel und Fehler debattieren?«
Dass sie dies nicht einmal im Sonnenzimmer der Prinzessin getan hätte, behielt sie für sich. Margaret war liebenswürdig und reizend, aber auch dem Klatsch zugeneigt und überaus einfältig. Ihr ein Geständnis zu machen bedeutete, dieses Geheimnis dem ganzen Hofstaat zur Kenntnis zu bringen.
»Der ganze Hof liegt dir zu Füßen, aber wenn du noch länger zögerst, dir einen Gatten zu suchen, wirst du als alte Jungfer enden«, behauptete ihre Gefährtin inzwischen naseweis. »Du bist schon jenseits der Zwanzig, Roselynne. Die meisten Seigneurs wünschen sich eine jüngere Gattin, damit sie ihnen kräftige Söhne schenken kann. Noch bist du schön, aber wenn du dich noch länger zierst, werden die Bewerber ausbleiben.«
Roselynne wusste nicht, ob sie verärgert oder amüsiert sein sollte. Dieses junge Küken, das noch kein halbes Jahr bei Hofe lebte, wagte es, sie mit der Nase auf Dinge zu stoßen, die nicht einmal ihre Mutter in dieser Deutlichkeit aussprach. Sie war einundzwanzig Sommer alt und damit schon ein gutes Stück über das Alter hinaus, in dem die Töchter des Adels verheiratet wurden. Immer wieder hatte sie es in den letzten Jahren geschafft, die Heiratspläne des Königs, ihres Vaters und auch die ihrer Mutter geschickt zu durchkreuzen.
Aber die Schlinge zog sich zu, sie spürte es. Obgleich ihre Eltern Geduld bewiesen, war sie eine zu gute Partie, um nicht in den Plänen des Königs eine Rolle zu spielen. Früher oder später würde er einen seiner besten Ritter mit ihrer Hand belohnen, und dann saß sie in der Falle. Man verweigerte seinem Fürsten nicht den Gehorsam, und es war das Los der Frauen, Gattin und Mutter zu werden.
»Du meinst also, ich bin schon so alt und ausgetrocknet, dass ich froh sein muss, wenn sich wenigstens ein schottischer Barbar für mich interessiert«, neckte sie Margaret, ohne sich ihre besorgten Gedanken anmerken zu lassen.
»Du machst dich lustig über mich!« Die Kleine hatte immerhin den Anstand, zu erröten. »Du weißt, dass du wunderschön bist! Die fahrenden Sänger sagen, du bist Morgana, die wieder auferstandene Fee des Nebelsees. Sie preisen deine Augen, die mit dem Violett der Frühlingsveilchen wetteifern, und die nachtschwarze Seide deiner glänzenden Haare. Sie loben die Geschmeidigkeit deiner Gestalt und die Eleganz deiner Tanzschritte. Ach, soll ich dir all die Huldigungen wiederholen, die unsereins bei deinem Anblick vor Neid grün werden lassen?«
»Bitte nicht!« Roselynne hob abwehrend die behandschuhte Rechte, die im Gegensatz zu vielen anderen Edeldamen keinen Jagdvogel trug. »Hör auf, meiner Eitelkeit zu schmeicheln, sonst muss ich bei meiner Beichte eine Sünde mehr aufzählen.«
»Deine Eitelkeit, pah!«, widersprach Margaret erneut. »Ich kenne keine Edeldame, die weniger auf ihr Aussehen und ihre Gewänder achtet als du. Bedeutet es dir denn so wenig, dass du mit solcher Schönheit gesegnet bist?«
Roselynne schwieg. Eine ehrliche Antwort hätte die Kleine nur verwirrt. Was nutzte ihr schon alle Schönheit, wenn es nicht die Farben der Cambremers waren? Schon in jungen Jahren hatte sie begriffen, dass es die verblüffende Ähnlichkeit ihrer großen Schwester mit Dame Elisabetta war, die ihr jenen Sonderstatus der Bewunderung und Liebe eintrug, um den sie sie so heftig beneidete. Feuerfarbenes Haar, meergrüne Augen und ein stürmisch-störrisches Temperament. Was hätte sie nicht darum gegeben, Sophia zu gleichen!
Seit sie denken konnte, hatte Sophia alles, was sie sich wünschte. Die Farben des Vaters, die Zuneigung der Großmutter, die Nachsicht der Mutter. Am meisten neidete sie ihr jedoch die Liebe, die ihre Schwester achtlos fortgeworfen hatte, um einem Gemahl zu folgen, den Roselynne nie und nimmer gegen den Einen eingetauscht hätte.
Roselynne waren die Brosamen geblieben. Die Farben der Mutter, die Duldung der Großmutter, die Ermahnungen des Vaters. Und das verschwommene, goldene Bild einer Liebe, die das unberührte Herz eines 16jährigen Kindes geweckt hatte. Nicht einmal ihre sonst so kluge Mutter hatte damals begriffen, was ihrer Zweitältesten Tochter widerfahren war. Sie hielt es für Schwärmerei und kindische Verehrung, was so endgültig in Roselynnes Herz
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