Herz im Spiel (German Edition)
Esszimmer begegnet. Marianne war erleichtert, den Raum verlassen vorzufinden, als sie dort eintraf, und tat ihr Bestes, um niemand im Haus auf ihre Anwesenheit aufmerksam zu machen. Sie war erfreut, auf der Anrichte noch ein paar Frühstücksreste vorzufinden. Die hart gewordenen Eier und der kalte Haferbrei schienen ihr nicht besonders einladend, aber sie entdeckte ein paar frische Erdbeeren, die sie hungrig hinunterschlang, als Mrs River durch die Küchentür in den Raum trat.
Die Haushälterin brauchte einen Augenblick, um sich zu sammeln. Die Situation hier auf Kingsbrook verwirrte sie außerordentlich. Sie kannte den jungen Herrn und seine Familie zulange, um sich von Mr Desmonds fadenscheiniger Geschichte anführen zu lassen, er werde sein „Mündel“ für einige Zeit nach Kingsbrook holen – in die Räume, die direkt neben seiner Suite lagen.
Tatsächlich kannte sie Mr Desmond, seit er „Master Peter“ gewesen und gelegentlich hergekommen war, um seinen Großvater zu besuchen. Er war ein recht nettes Kind gewesen, aber sie nahm an, dass er während seiner Internatszeit gewisse ungute Gewohnheiten angenommen hatte. In den Dienstbotenquartieren war bekannt, dass der Junge seine Eltern schwer enttäuscht hatte und sie ihn praktisch als hoffnungslosen Fall abgeschrieben hatten.
Aber Mrs River wusste, wo ihr Platz war, und Mr Desmond konnte herzlich gern sein Leben genießen und seine niedrigen Instinkte befriedigen, ohne seine Haushälterin um Erlaubnis zu bitten oder auch nur ihre Meinung dazu einzuholen. Doch dass er eine Frau von zweifelhaftem Ruf in dieses ehrwürdige alte Haus brachte, um hinter diesen Mauern Bett und Tisch mit ihr zu teilen, das kränkte die Wirtschafterin von Kingsbrook zutiefst.
Doch dann hatte Alice heute Morgen atemlos berichtet, Mr Desmond habe allein in seinem Bett geschlafen, und Miss Trenton in ihrem. Alice hatte hinzugesetzt, Miss Trenton komme ihr wirklich wie eine richtige Dame vor, ganz gleich, welchem Gewerbe sie nachgehen mochte, falls Mrs Rawlins und Tilly verstünden, was sie meinte.
Selbstverständlich billigte Mrs River solches Geschwätz nicht und tat Alices Meinung als törichte romantische Anwandlungen eines jungen naiven Mädchens ab. Jetzt allerdings, als sie der fraglichen jungen Dame gegenüberstand, musste sie sich eingestehen, dass die Abenteurerin von gestern Abend und dieses niedliche junge Ding mit Krümeln an den Fingern und dem winzigen Erdbeerfleck am Kinn nicht dieselbe Person zu sein schienen.
Heute Morgen trug Miss Trenton eine helle Hemdbluse mit einem etwas hausbackenen Trägerkleid darüber. Ihr Haar war zerzaust, und ihre Augen sahen müde und gerötet aus. Mrs River fühlte, wie ihre moralische Empörung mütterlichem Mitgefühl wich. Hatte sie sich etwa geirrt?
Für Mrs River war das eine ganz neue Vorstellung.
„Entschuldigen Sie bitte. Ich hatte gesehen, dass diese Sachen noch draußen standen. Ich weiß, es ist schon furchtbar spät, und ich hätte bestimmt kein Frühstück erwartet, aber ich dachte, da sie schon einmal hier lagen … Oh, ich … ich hoffe, sie waren nicht für jemand anders bestimmt!“, stammelte Marianne so schuldbewusst, als hätte Mrs River sie dabei überrascht, wie sie das Familiensilber unter dem Rock versteckte.
„Das macht doch nichts, Miss Trenton. Sie können sich gern von allem auf der Anrichte nehmen, oder Jenny wird Ihnen etwas Frisches richten, wenn Sie möchten.“
„Oh nein“, stieß Marianne hervor, offensichtlich entsetzt über die Vorstellung, jemand könnte etwas für sie zubereiten. „Das ist schon in Ordnung. Die Erdbeeren sind sehr gut, und wenn ich nur diesen zweiten Muffin mit nach oben in mein Zimmer nehmen darf, dann stehe ich Ihnen nicht weiter im Weg.“
Marianne versuchte, den Muffin in eine Serviette zu wickeln, wobei das kleine Kuchenstück allerdings fast völlig zerkrümelte.
„Na, ganz ruhig“, sagte Mrs River. Verblüfft blickte Marianne auf, denn die Stimme der Frau klang freundlich und mitfühlend.
Dem Mädchen traten Tränen in die Augen. Jetzt war ihr klar, warum die Haushälterin gestern so kühl gewesen war, denn sie kannte nun den Grund, weshalb Mr Desmond sie hergeholt hatte. Sie alle hielten sie für ein leichtes Mädchen.
Marianne war unglücklich gewesen, als sie bei Onkel Horace gelebt hatte, war immer allein gewesen, manchmal sogar misshandelt worden. Aber noch nie war sie so entsetzt und verwirrt gewesen wie jetzt hier. Noch nie seit dem Tod ihrer Mutter
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